10. Juli 2024
Wie bereits in unserem letzten Artikel zum EU-Listing Act erwähnt, erzielte das EU-Parlament und der EU-Rat am 1. Februar 2024 eine vorläufige Einigung über ein Gesetzespaket, den sog. „EU- Listing Act“, welches das EU-Parlament am 24. April 2024 gebilligt hat. In diesem Artikel geben wir einen Überblick über die wichtigsten zukünftigen Änderungen in der Prospektverordnung (EU) Nr. 2017/1129 („ProspektVO“) und deren zukünftige Auswirkungen auf die Praxis. Die neuen Regelungen treten zwar erst Ende 2025 In Kraft, jedoch können diese zukünftigen Änderungen bereits jetzt Auswirkungen auf Finanzierungsstrategien haben.
Gemäß der ProspektVO sind sowohl Erstemissionen (IPO) an der Börse als auch spätere Kapitalerhöhungen grundsätzlich prospektpflichtig. Die Erstellung eines Prospekts ist für die Unternehmen (Emittenten) mit einem erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden, was insbesondere KMUs von (weiteren) Emissionen zur Kapitalgewinnung abhalten kann. Um den europäischen Kapitalmarkt attraktiver zu gestalten, hat die EU-Kommission Ende des Jahres 2022 im Zuge des EU-Listing Acts Änderungsvorschläge zum Prospektrecht eingebracht. Die Vorschläge zielen auf eine Erweiterung der Erleichterungen und Ausnahmen von der Prospektpflicht ab, um den Eintritt für KMUs an die Kapitalmärkte zu erhöhen.
Nach Art. 1 Abs. 4 lit. da) und Abs. 5 Unterabs. 1 lit. a) der geplanten Änderung der Prospektverordnung („ProspektVO-E“) sollen Emissionen von bis zu 30% der bereits börsennotierten Wertpapiere eines Emittenten innerhalb von zwölf Monaten ohne Veröffentlichung eines Prospekts möglich sein. Voraussetzung hierfür ist, dass der zuständigen Behörde ein Dokument von maximal 11 Seiten zur Verfügung gestellt wird, in dem der Emittent u.a. bestätigt, dass er die Rechnungslegungs- und Publizitätsvorschriften einhält und keine Insiderinformationen vorliegen. Ebenso sind der Zweck der Kapitalerhöhung und die damit verbundenen Risiken darzulegen.
Für identische Wertpapiere, die seit mindestens 18 Monaten an einem regulierten Markt gehandelt werden, gelten gem. Art. 1 Abs. 4 lit. db) und Abs. 5 Unterabs. 1 lit. b) ProspektVO-E keine Volumenbeschränkungen für das Angebot bzw. die Zulassung, sofern bestimmte Kriterien (kein Übernahmeangebot, kein laufendes Restrukturierungs- oder Insolvenzverfahren des Emittenten etc.) erfüllt sind und ebenfalls ein maximal elfseitiges Dokument veröffentlicht wird.
Für identische Wertpapiere, die mindestens 18 Monate an einem regulierten Markt gehandelt wurden, gelten laut Art. 1 Abs. 4 lit. db) und Abs. 5 Unterabs. 1 lit. b) ProspektVO-E keine Volumenbeschränkungen für das Angebot oder die Zulassung, sofern gewisse Kriterien erfüllt sind (keine Übernahmeangebote, kein laufendes Restrukturierungs- oder Insolvenzverfahren des Emittenten etc.) und ebenfalls ein maximal elfseitiges Dokument veröffentlicht wird.
Die Schwelle für prospektfreie öffentliche Angebote soll nach Art. 3 Abs. 2 ProspektVO-E auf einen Gesamtwert von bis zu EUR 12 Mio. pro Zwölfmonatszeitraum angehoben werden, statt wie bisher EUR 8 Mio. Allerdings können die nationalen Gesetzgeber abweichende Regelungen treffen und eine Prospektpflicht bereits ab einem Gegenwert von EUR 5 Mio. vorsehen. Die Mitgliedstaaten können zudem verlangen, dass bei prospektfreien Angeboten dieser Größenordnung ein Informationsdokument veröffentlicht wird, das einer verkürzten Prospektzusammenfassung nach Art. 7 der bestehenden Prospektverordnung entspricht.
Wie der deutsche Gesetzgeber von dieser Ermächtigung Gebrauch machen wird, ist noch unklar; derzeit sieht § 4 WpPG für Angebote zwischen EUR 100.000 und EUR 8 Mio. die Vorabveröffentlichung eines maximal dreiseitigen Wertpapier-Informationsblatts vor.
Der EU-Listing Act zielt darauf ab, die Fälle, in denen kein Prospekt erforderlich ist, auszuweiten und gleichzeitig eine stärkere Standardisierung der Struktur, des Formats und des Inhalts von Prospekten zu fördern. Diese Maßnahmen sollen den Aufwand für Emittenten reduzieren. Ein neuer Anhang I zur Prospektverordnung gibt Auskunft über diese Anforderungen und soll durch delegierte Rechtsakte der Kommission ergänzt werden. Prospekte für Aktienemissionen sollen grundsätzlich nicht mehr als 300 Seiten umfassen.
Änderungen gibt es auch bei den Angaben zu Risikofaktoren in Prospekten: Generische Beschreibungen sind künftig unzulässig, ebenso entfällt die Pflicht zur priorisierten Darstellung wesentlicher Risiken nach Kategorien - eine Erleichterung für die Emittenten. Neu ist auch die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten in Form von ESG-Berichten durch Verweis.
Neue Formate wie der EU-Folgeprospekt nach Art. 14b ProspektVO-E sollen weitere Vereinfachungen bringen: Dieser kann von Emittenten verwendet werden, deren Wertpapiere seit mindestens 18 Monaten an einem regulierten Markt oder KMU-Wachstumsmarkt gehandelt werden, und darf grundsätzlich maximal 50 Seiten umfassen; Einzelheiten zum Aufbau finden sich in den Anhängen IV und V der ProspektVO-E.
Der EU-Wachstumsprospekt richtet sich an KMU sowie an Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern, die nicht mehr als EUR 50 Mio. emittieren wollen - der Prospekt ist dann auf maximal 75 Seiten beschränkt.
Die bislang bestehenden regulatorischen Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Prospektpflicht bei öffentlichen Angeboten von Wertpapieren sowie bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem regulierten Markt, wurden als Hürden identifiziert, welche insbesondere KMUs vor größere Herausforderungen stellen. Zusammenfassend bringt der EU-Listing Act nunmehr gewisse Vereinfachungen und Erleichterungen im Prospektrecht mit sich, die insbesondere KMUs den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern. KMUs die bislang einen (weiteren) Gang an die Börse gescheut haben sollten daher erneut evaluieren, ob der Eintritt in den Kapitalmarkt nicht doch eine interessante Alternative zu herkömmlichen Finanzierungsmethoden darstellt.