17. Mai 2024
Die Insolvenzwelle innerhalb der deutschen Krankenhauslandschaft setzt sich auch 2024 fort. Die finanzielle Situation vieler Häuser ist dramatisch schlecht. Bei Häusern in öffentlicher Trägerschaft konnten Insolvenzen zum Teil vermieden werden, da kommunale Träger in die Bresche springen und schon seit Jahren Defizitausgleiche gewähren. Private oder freigemeinnützige Häuser profitieren in der Regel nicht von derartigen staatlichen Eingriffen. Dagegen regt sich zunehmend Widerstand. Aktuell klagt ein Zusammenschluss von rund 30 privaten und freigemeinnützigen Kliniken vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen Berliner Zahlungen an das landeseigene Klinikunternehmen Vivantes.
Das Bündnis hat darüber hinaus angekündigt, eine Beihilfebeschwerde bei der EU-Kommission einzulegen. Eine Krankenhausgruppe in kirchlicher Trägerschaft wehrt sich vor dem Frankfurter Verwaltungsgericht gegen Zahlungen der Stadt Frankfurt an das städtische Klinikum Höchst. Unlängst hat auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) erklärt, eine Beihilfebeschwerde bei der EU-Kommission gegen die geplante Krankenhausreform einlegen zu wollen. Das EU-Beihilferecht gerät damit immer stärker in den Fokus des Krankenhaussektors. Wir ordnen die Klagen und Beschwerden ein und zeigen auf, was bei der Finanzierung von Krankenhäusern aus EU-beihilferechtlicher Sicht beachtet werden muss.
Seit 1972 gibt es in Deutschland die sog. duale Krankenhausfinanzierung. Das heißt, dass die Betriebskosten (die Kosten, die für die Behandlung der Patienten entstehen) durch die gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden. Die Investitionskosten (z.B. Neubauten, neue Geräte etc.) werden hingegen durch die Bundesländer finanziert. In den Genuss der dualen Krankenhausfinanzierung kommen Plankrankenhäuser unabhängig von der Art der Trägerschaft.
Die duale Krankenhausfinanzierung stand bislang nicht vollständig auf dem EU-beihilferechtlichen Prüfstand. Eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV liegt dann vor, wenn folgende Kriterien kumulativ erfüllt sind:
Beihilfen sind grundsätzlich unzulässig. Es gilt das sog. Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV. Hinsichtlich der dualen Krankenhausfinanzierung wird vertreten, dass es bereits am Merkmal der „Selektivität“ fehle, da alle Plankrankenhäuser davon profitieren. In Bezug auf die Betriebskosten wäre darüber hinaus zu überlegen, ob diese „aus staatlichen Mitteln“ stammen, da die Betriebskosten durch die gesetzlichen Krankenversicherungen finanziert werden. Im Ergebnis wurde die duale Krankenhausfinanzierung bislang nicht durch die EU-Spruchpraxis bemängelt.
Von der dualen Krankenhausfinanzierung zu unterscheiden ist ein darüberhinausgehender Defizitausgleich. Angesichts der dramatisch schlechten Kassenlage greifen viele öffentliche Träger „ihren“ Häusern selektiv unter die Arme. Dann liegt in der Regel eine tatbestandliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vor, es gilt grundsätzlich das Durchführungsverbot. Eine Ausnahme vom Durchführungsverbot stellen allerdings sog. Dienstleistungen von allgemeinem, wirtschaftlichem Interesse (DAWI) dar (Art. 106 Abs. 2 AEUV).
DAWI sind gemäß der sog. DAWI-Mitteilung der EU-Kommission (2012/C 8/02) Dienstleistungen, die im Interesse der Allgemeinheit bzw. zum Wohle der Bürger oder im Interesse der Gesellschaft als Ganzes erbracht werden. Die EU-Mitgliedstaaten haben bei der Bestimmung von DAWI einen weiten Ermessensspielraum. Frankreich kann z.B. andere Tätigkeiten als DAWI ansehen, als Deutschland. Unabhängig davon hat die EU-Kommission gewisse Dienstleistungen, die nach übereinstimmender Ansicht der Mitgliedstaaten in der Regel DAWI darstellen, im sog. DAWI-Freistellungsbeschluss (2012/21/EU) näher erläutert. Nach Art. 2 Abs.1 lit. b) DAWI-Freistellungsbeschluss sind Krankenhäuser, die medizinische Versorgung leisten, gegebenenfalls einschließlich Notdiensten, als Unternehmen, die DAWI erbringen, einzustufen. Die Erbringung von Nebendienstleistungen, die unmittelbar mit der Haupttätigkeit verbunden sind (insbesondere in der Forschung), gilt auch als DAWI.
Voraussetzung für die beihilferechtskonforme Gewährung von Ausgleichsleistungen für die Erbringung von DAWI (z.B. einen Defizitausgleich) ist eine förmliche Betrauung des Krankenhauses durch den Träger mit der Erbringung von Krankenhausleistungen (Betrauungsakt). Für den Betrauungsakt gelten einige Voraussetzungen. So dürfen Ausgleichsleistungen maximal bis zur Grenze eines „angemessenen Gewinns“ ausgeglichen werden. Darüber hinaus muss ggf. mittels Trennungsrechnung nachgewiesen werden, dass tatsächlich nur DAWI gefördert werden – und keine Nebenleistungen, die keine DAWI darstellen.
Die bisherige Spruchpraxis auf nationaler Ebene sowie EU-Ebene geht davon aus, dass eine selektive Betrauung einzelner öffentlicher Häuser mit Krankenhausleistungen mit dem EU-Beihilferecht vereinbar ist. So urteilte der BGH im Jahr 2016 (Urteil vom 24.03.2016, I ZR 263/14 – Kreiskliniken Calw), dass ein Defizitausgleich als DAWI-Ausgleichsleistung gewährt werden dürfe, da die öffentliche Hand eine Betriebspflicht für Krankenhäuser habe. Das rechtfertige eine Ungleichbehandlung zu privaten Häusern. Vergleichbar entschied auch die EU-Kommission (Beschluss vom 21.10.2016, SA.36798 – Klinikum Osnabrück). Sie betonte, dass es einem privaten Träger leichter möglich sei, sich auf lukrative Behandlungsformen zu konzentrieren, als einem öffentlichen Träger.
Gegen diese Entscheidungen rührt sich Widerstand. Die DRK-Kliniken, die stellvertretend für 29 Berliner Kliniken gegen das Land Berlin wegen Sonderzahlungen an Vivantes vor dem Verwaltungsgericht Berlin klagen, sind der Auffassung, dass der selektive Defizitausgleich den Wettbewerb zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Krankenhäusern auf dem Markt der stationären Krankenhausbehandlung verzerre. Das sei nicht mit dem EU-Beihilferecht vereinbar. BGH und EU-Kommission hätten diesen Aspekt unzureichend berücksichtigt. Die DRK-Kliniken wollen zusätzlich Beihilfebeschwerde bei EU-Kommission einlegen. Der Gesundheitskonzern Agaplesios teilt die Auffassung der DRK-Kliniken und erhob Klage vor dem Frankfurter Verwaltungsgericht wegen Zuwendungen an das Klinikum Frankfurt Höchst. Es bleibt abzuwarten, ob die neuerlichen Klagen und Beschwerden etwas an der bisherigen Praxis des Defizitausgleichs ändern werden.
Bis zu einer Entscheidung der Verwaltungsgerichte bzw. der EU-Kommission sollten öffentliche Träger, die „ihren“ Häusern einen Defizitausgleich gewähren möchten, darauf achten, dass die Häuser formal mit der Erbringung von DAWI betraut sind und die Voraussetzungen des sog. Freistellungsbeschluss eingehalten werden. Bei etwaigen Grenzfällen ist eine Abstimmung mit der EU-Kommission möglich. Ihr Taylor Wessing-Team unterstützt Sie gerne dabei.
Private und freigemeinnützige Häuser haben verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Gewährung eines Defizitausgleichs an öffentliche Häuser. Denkbar ist neben einer Klage zum Verwaltungsgericht auch eine Unterlassungsklage von den Zivilgerichten. Hinzu kommt die Möglichkeit einer Beihilfebeschwerde zur EU-Kommission – gegen die Entscheidung der EU-Kommission steht dann der Rechtsweg zu den EU-Gerichten offen. Aus EU-beihilferechtlicher Sicht wäre jedenfalls auch ein Defizitausgleich zu Gunsten eines privaten / freigemeinnützigen Hauses möglich. DAWI-Leistungen dürfen ausdrücklich auch von privaten Unternehmen erbracht werden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 2 DAWI-Freistellungsbeschluss). Gerne prüft Ihr Taylor Wessing-Team, welche Möglichkeiten hier erfolgsversprechend sind.