Autor

Christine Conzen

Senior Associate

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10. Dezember 2020

Crowdworker nun doch ein Arbeitnehmer?

Der Beitrag greift das Urteil des 9. Senats des BAG vom 1. Dezember 2020 (9 AZR 102/20) auf. Das BAG hat entschieden, dass ein Crowdworker ein Arbeitnehmer sein kann. Dieses Urteil (bislang liegt nur die Pressemitteilung vor, nicht die Urteilsgründe) sorgt für Überraschung in der digitalen Arbeitswelt, die zunehmend von flexiblen Arbeitsformen geprägt wird und in der die Vermittlung von Arbeitsaufträgen durch digitale Plattformen an Bedeutung gewinnt.

 

Sachverhalt und Entscheidung


Die Beklagte betreibt eine Online-Plattform und bietet im Auftrag ihrer Kunden die Kontrolle bestimmter Warenpräsentation im Einzelhandel und in Tankstellen an.

Ausgeführt werden die Kontrolltätigkeiten von sogenannten „selbständigen“ Crowdworkern, die nach Registrierung über eine App des Unternehmens Aufträge annehmen können. Grundlage der Zusammenarbeit zwischen dem klägerischen Crowdworker und der Beklagten waren eine „Basis-Vereinbarung“ sowie AGB. Nach der „Basis-Vereinbarung“ bestand keine Pflicht zur Erfüllung von Aufträgen. Angenommene Aufträge waren in der Regel binnen zwei Stunden vorgabegemäß zu erledigen. Für erledigte Aufträge erhielt der Crowdworker Erfahrungspunkte, die ihm auf seinem Account gutgeschrieben werden. Mit steigender Anzahl erledigter Aufträge erhöhte sich das Level des Crowdworkers, der sodann auch mehrere Aufträge gleichzeitig ausführen konnte. Der Kläger erledigte über einen Zeitraum von 11 Monaten knapp 3.000 Aufträge und verdiente etwa EUR 1.800 monatlich bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von ca. 20 Stunden.

Nachdem das Unternehmen dem Kläger mitteilte, ihm keine weiteren Aufträge mehr anzubieten und den Account zu löschen, erhob dieser Klage und machte u.a. Ansprüche auf Weiterbeschäftigung und Zahlung ausstehender Vergütung geltend. Zwischenzeitlich sprach die Beklagte vorsorglich nochmals eine Kündigung aus. Daraufhin erweiterte der Kläger seine Klage um einen Kündigungsschutzantrag. Vorinstanzlich (LAG München, Urt. v. 4.12.2019, Az. 8 Sa 146/19; ArbG München, Urt. v. 20.2.2019 – 19 Ca 6915/18) unterlag der Kläger, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses wurde verneint.

Anders entschied das BAG, das die Voraussetzungen des § 611a BGB prüfte und zum Ergebnis kam, dass ein Crowdworker ein Arbeitnehmer sein kann und vorliegend die Voraussetzungen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung zu bejahen waren.

 

Begründung des BAG


Nach dem BAG (soweit aus der
Pressemitteilung ersichtlich) spricht für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, wenn ein Online-Plattformanbieter die Zusammenarbeit mit dem Crowdworker so steuert, dass dieser seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann. Der Kläger leistete in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit.


Obgleich keine vertragliche Verpflichtung des Crowdworkers zur Annahme der auf der Plattform angebotenen Aufträge bestand, war die Organisationsstruktur der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform darauf ausgerichtet, dass die Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen und persönlich ausführen. Der Organisationsstruktur der Online-Plattform wohnte ein Anreizsystem inne: Die Ausführung einer Vielzahl von Aufträgen führte zu dem Erreichen eines erhöhten Levels im Bewertungssystem, das dem Crowdworker wiederum die Möglichkeit eröffnete, mehrere Aufträge gleichzeitig anzunehmen, auszuführen und damit den Stundenlohn faktisch zu erhöhen. Dieses Anreizsystem veranlasste den Kläger dazu, kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen. Unerheblich ist dagegen die Vertragsbezeichnung, wenn die tatsächliche Durchführung zeigt, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt.


Die Revision wurde dennoch überwiegend zurückgewiesen, da das Arbeitsverhältnis durch die vorsorglich erklärte Kündigung wirksam beendet wurde. Über die Höhe der geltend gemachten Vergütungsansprüche muss nun das LAG entscheiden. Dem Crowdworker steht nicht ohne Weiteres die Vergütung zu, die er als vermeintlich freier Mitarbeiter erhalten hatte, sondern die übliche Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB.

 

Praxishinweis und Ausblick


Wenngleich die Urteilsgründe noch nicht vorliegen, hat das Urteil Signalwirkung und dürfte zu erheblicher Rechtsunsicherheit im Crowdworking-Bereich führen. Denn auch wenn der Crowdworker selbst darüber entscheiden kann, ob und welche der angebotenen Aufträge er ausführt, können die Vorgaben zur Art und Weise der Auftragsdurchführung im Zusammenspiel mit einem Anreizsystem dazu führen, dass der Crowdworker ein Arbeitnehmer ist: Je detaillierter die Vorgaben zur Erfüllung der Aufträge und je größer der Anreiz, häufiger und mehr Aufträge (gleichzeitig) anzunehmen, desto eher besteht das Risiko, dass die Tätigkeit als weisungsgebunden und fremdbestimmt einzustufen und der Crowdworker als persönlich abhängig einzuordnen ist. Die Urteilsbegründung dürfte mit Spannung zu erwarten sein.

Die Arbeitnehmereigenschaft hat zur Folge, dass gesetzliche Arbeitnehmerschutzvorschriften greifen, so etwa der Kündigungsschutz (KSchG) und die Einhaltung gesetzlicher Kündigungsfristen, der Mindestlohn (MiLoG), die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (EntgFG) und der Anspruch auf Erholungsurlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Zusätzlich hat dies sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen, wie etwa die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Plattformbetreiber sollten vor diesem Hintergrund nicht nur die bestehenden Vereinbarungen mit den Crowdworkern und die AGB analysieren, sondern dabei auch ein besonderes Augenmerk auf die Struktur ihrer Geschäftsmodelle, die Art und Weise der Auftragsvermittlung und die tatsächliche Einbindung der Crowdworker legen.

 

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat kürzlich ein Eckpunktepapier zur Stärkung der Tätigkeitsbedingungen und des sozialen Schutzes Plattformtätiger veröffentlicht. Geplant sind etwa die Einbeziehung der Plattformtätigen in die gesetzliche Rentenversicherung sowie die Prüfung der Möglichkeit des Schutzes in der Unfallversicherung. Ferner sollen Plattformbetreiber die Beweislast für das Nicht-Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses tragen, wenn der Plattformtätige Indizien für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vorträgt. Verbindliche Vorgaben oder ein Gesetzesentwurf existieren bislang nicht. Es bleibt somit abzuwarten, wann und welche gesetzlichen Neuerungen umgesetzt werden.

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