Autor

Dr. Martin Bartlik, LL.M. (McGill)

Partner

Read More
Autor

Dr. Martin Bartlik, LL.M. (McGill)

Partner

Read More

22. Dezember 2020

Paragraph 313 – 2 von 2 Insights

Gesetzgeber beschließt Klarstellung zu §313 BGB – Ja, ist denn heut' schon Weihnachten?

  • Briefing

Ist es noch (schwarzer) Humor, schon Sarkasmus oder gar weise Voraussicht, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine Klarstellung zu §313 BGB zur Unterstützung der Gewerbemieter im Rahmen eines Gesetzes zur Anpassung der Insolvenzordnung – „Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens“ – beschlossen haben?

Der Bundestag hat in seiner Sitzung am 17. Dezember 2020 eine gesetzgeberische, widerlegliche Vermutung dafür statuiert, dass durch oder infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verursachte Einschränkungen der Nutzbarkeit von gemieteten oder gepachteten Grundstücken oder Räumen eine schwerwiegende Änderung der Vertragsgrundlage darstellen. Zu dieser Klarstellung sah sich der Gesetzgeber genötigt, nachdem ein zu Jahresbeginn verabschiedetes Gesetz – das sogenannte Mietmoratorium – zur Rechtsunsicherheit geführt hatte, ob die Regelung in § 313 BGB auf Mietverhältnisse Anwendung findet. Durch das Mietmoratorium hatte der Gesetzgeber geregelt, dass Mietern, wenn sie pandemiebedingt mit ihren Mieten von April bis Juni 2020 säumig sind, nicht wegen Zahlungsverzugs außerordentlich gekündigt werden darf und ihnen eine lange gesetzliche Nachzahlungsfrist bis 30. Juni 2022 eingeräumt. Zum Ausgleich fielen auf die rückständigen Mieten Verzugszinsen in Höhe von 8,12 Prozent p.a. an. Diese Regelung war für viele Mieter derartig unbefriedigend, dass man nach weiteren rechtlichen Möglichkeiten suchte, um die Miete dauerhaft zu reduzieren und nicht lediglich eine verzinsliche Stundung hinnehmen zu müssen. Die jetzt verabschiedete Anpassung geht somit zurück auf die ungenügende Regelung zu Beginn der Pandemie. 

Wer jetzt allerdings meint, der Gesetzgeber habe eine 180-Grad-Wendung vollzogen, der hat das Kleingedruckte noch nicht gelesen. Zur Erinnerung: § 313 BGB besagt – vereinfacht gesprochen –, dass, wenn sich

  • ein Umstand, den die Parteien zur Vertragsgrundlage gemacht haben, 
  • nachträglich schwerwiegend ändert und
  • keine der Vertragsparteien das Risiko für die Änderung vertraglich übernommen hat,  

  • der Vertrag im Rahmen des für beide Parteien Zumutbaren anzupassen und gegebenenfalls – falls eine Anpassung einer Partei nicht zumutbar ist – vorzeitig außerordentlich kündbar ist.   

Der Gesetzgeber hat jetzt nur klargestellt, dass für zwei der drei Voraussetzungen von § 313 BGB – die schwerwiegende Änderung eines zur Vertragsgrundlage gemachten Umstandes – eine Vermutungswirkung besteht. Die Vermutung geht dahin, dass die Mieter und Vermieter als Vertragsparteien bei Vertragsschluss stillschweigend unterstellt haben, dass es zu einer großflächigen, staatlich angeordneten Nutzungseinschränkung nicht kommen würde. Die im Rahmen der COVID-19-Pandemiebekämpfung ergriffenen staatlichen Maßnahmen stellen indessen eine schwerwiegende Änderung dieses Umstandes dar. 

Die Bedeutung der gesetzgeberischen Klarstellung dürfte beschränkt bleiben. Zum einen sind die Richter dem Gesetzgeber ohnehin schon einen Schritt voraus gewesen. Dass die CORONA-19-Pandemie eine schwerwiegende Änderung der Vertragsgrundlage darstellt, dürfte mittlerweile die herrschende Meinung sein. Insofern hat der Gesetzgeber nur etwas geregelt, was die Rechtspraxis ohnehin schon längst annimmt. Darüber hinaus statuiert der Gesetzgeber lediglich eine widerlegbare Vermutung, das heißt, Vermieter werden jetzt zunächst versuchen zu beweisen, dass tatsächlich keine schwerwiegende Veränderung eingetreten ist. Es ändert sich somit nur die Darlegungs- und Beweislast. Während zuvor der Mieter darlegen und beweisen musste, dass eine schwerwiegende Veränderung der Vertragsgrundlage eingetreten ist, muss nunmehr der Vermieter darlegen und beweisen, dass keine schwerwiegende Veränderung der Vertragsgrundlage eingetreten ist. Das ist keine sonderlich spektakuläre Änderung der Rechtslage. Um es mit einem Kommentar in der Tagespresse zu sagen: Die Anwälte und Richter kugeln sich gerade vor Lachen!    

Die letzte Tatbestandsvoraussetzung von § 313 BGB und die Rechtsfolge sind durch die gesetzliche Regelung unangetastet geblieben. Es muss somit immer noch festgestellt werden, dass nicht der Mieter oder Vermieter das Risiko einer schwerwiegenden Veränderung der Vertragsumstände vertraglich übernommen hat, und es muss schließlich noch entschieden werden, in welchem Umfang eine Anpassung auch der anderen Partei – also dem Vermieter – zumutbar ist. Beides kann nur auf Grundlage einer Bewertung des gesamten Mietvertrages im Einzelfall erfolgen. Jedes Mietverhältnis muss im Einzelnen analysiert werden. Das war schon vor der Gesetzesanpassung so und ist es jetzt immer noch. Mit anderen Worten: Es ändert sich nichts an der bisherigen Herangehensweise.

Flankierend zu der Klarstellung zu § 313 BGB hat der Gesetzgeber noch ein prozessuales Beschleunigungsgebot aufgenommen. Rechtstreitigkeiten zwischen Mieter und Vermieter über die Anwendbarkeit von § 313 BGB sollen bevorzugt und beschleunigt von den Gerichten bearbeitet werden. Insbesondere soll ein früher erster Termin binnen Monatsfrist stattfinden. Auch wenn in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen wird, dass die Gerichte selbst über ihre Verfahren entscheiden, werden sich die Richter über einen derartig weiten Eingriff in ihre richterliche Unabhängigkeit nicht freuen. So mancher Richter könnte sich genötigt fühlen, genau das Gegenteil zu tun, alleine um ein Zeichen zu setzen, dass er sich nicht vom Gesetzgeber in seinen Hoheitsbereich reinreden lässt. Darüber hinaus garantiert eine frühzeitige Terminierung des ersten Termins noch lange nicht eine kurze Verfahrensdauer. Ganz im Gegenteil, weil beim frühen ersten Termin die Parteien wenig Zeit hatten, sich auf das Verfahren vorzubereiten und noch nicht alle Argumente ausgetauscht haben, verlängern sich solche Verfahren nach hinten heraus. Im Übrigen entbehrt es nicht einer gewissen Komik, dass der Gesetzgeber mitten in einem zweiten Shutdown die Gerichte anweist, frühzeitige Gerichtsverhandlungen anzuberaumen. Die Praxis der letzten sechs Monate ist eine andere: Gerichtstermine wurden von den Gerichten im Hinblick auf Kontaktvermeidung zwecks Eindämmung der CORONA-19-Pandemie aufgehoben und großzügig verschoben.

Auch rechtspolitisch ist das verabschiedete Gesetz in vielerlei Hinsicht kritikwürdig. Wie schon beim Mietmoratorium bleibt die Situation der Vermieter weitgehend unbeachtet. Es herrscht die Fehlvorstellung vor, Immobilieneigentümer seien zumeist ausländische institutionelle Fonds, die die Immobilien mit Eigenkapital erworben haben und vor Kapital nur so strotzen. In der Realität werden die meisten Immobilien jedoch fremdfinanziert und zahlreiche Vermieter kommen schnell an ihre finanziellen Grenzen, wenn die Mieten ausfallen. Wenn in der Gesetzesbegründung daher behauptet wird, Vermieter hätten sich mit Vertragsanpassungen gegenüber den Mietern zurückgehalten, mag es auch daran liegen, dass sich die Vermieter eine Anpassung gar nicht leisten können. Es hätte insofern nahegelegen, auch dem Vermieter, insbesondere gegenüber seinem Kreditinstitut, eine Vermutung für das Vorliegen einer schwerwiegenden Änderung der Vertragsgrundlage ausdrückliche Berufung zuzugestehen. In Bezug auf den Mieter heiß es insoweit in der Gesetzesbegründung: 

„Die Zahlung der Miete für eine Gewerbefläche kann eine erhebliche wirtschaftliche Belastung bedeuten, die bei fehlenden oder erheblich reduzierten Einnahmen zu einer wirtschaftlichen Schieflage führen kann.“

Diese Aussage lässt sich ungekürzt auch auf den Vermieter anwenden, wenn man den Satz mit „Der Ausfall der Miete….“ beginnt. Benachteiligt wird insoweit im Übrigen nicht nur der Vermieter, sondern auch derjenige Gewerbetreibende, der eine Immobilie nicht angemietet, sondern selbst erworben hat (sogenannte Owner-Operator). Auch für diesen gibt es ebenso wenig wie für den Vermieter eine gesetzliche Vermutungswirkung für das Vorhandensein einer schwerwiegenden Änderung der Umstände bei Vertragsschluss. 

Wenn man schließlich die durchaus selbstkritische Aussage des Gesetzgebers beherzigt, wonach „sich ein Umstand im Sinne von § 313 Absatz 1 BGB, der zur Grundlage des Miet- oder Pachtvertrages geworden ist, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat“, bedeutet dies übersetzt nichts anderes, als dass eine Immobilie infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht mehr uneingeschränkt zur Nutzung verfügbar ist. Letztendlich stellt sich dies dann auch als eine schwerwiegende Veränderung im Verhältnis zwischen Vermieter/Grundstückseigentümer und Fiskus dar, sodass damit Anpassungen bei z.B. der Grundsteuer möglich sein sollten. Komisch, dass der Gesetzgeber das noch nicht von selbst vorgeschlagen hat!

Call To Action Arrow Image

Newsletter-Anmeldung

Wählen Sie aus unserem Angebot Ihre Interessen aus!

Jetzt abonnieren
Jetzt abonnieren

Related Insights

Immobilienrecht

§313 BGB: Denn sie wissen nicht, was sie tun

15. Dezember 2020
Briefing

von Dr. Martin Bartlik, LL.M. (McGill)

Klicken Sie hier für Details