Folgen einer Anordnung nach 128a Abs. 1 ZPO
Die Anordnung einer Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gemäß § 128a ZPO erscheint in Corona-Zeiten als Angebot, um aktuell anstehende Verhandlungstermine durchzuführen und eine drohende Verzögerung von Rechtsstreitigkeiten zu verhindern. Es handelt sich allerdings auch wortwörtlich um ein Angebot, das die Parteien nicht ausschlagen können. Denn die gerichtliche Anordnung ist unanfechtbar. Bedenken gegen die Anordnung können lediglich im Rahmen einer obligatorischen Anhörung von den Beteiligten des Rechtsstreits angemeldet werden.
Im Folgenden wird auf die Voraussetzungen und die – mitunter auch unliebsamen – Konsequenzen einer Anordnung gem. § 128a ZPO mit Blick auf Patentverletzungs- und Rechtsbestandsverfahren vor deutschen Gerichten eingegangen.
Ablauf des Verfahrens
Die nach § 128a ZPO zur Verfügung stehenden Optionen sind – vereinfacht ausgedrückt – die Verhandlung per Videokonferenz (Abs. 1) sowie die Videovernehmung (Abs. 2). Dieser Beitrag bezieht sich auf die Verhandlung per Videokonferenz und klammert mögliche Problemkreise bei der Videovernehmung aus.
Eine Verhandlung im Wege der Videokonferenz kann das Gericht auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen nach eigenem Ermessen anordnen. Der gesetzgeberischen Intention entsprechend, die Nutzung von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren zu erhöhen, ist das Einverständnis der Parteien dazu nicht erforderlich (BTDrs 17/12418, S. 1, 14). Im Vorfeld der Anordnung sind die Parteien jedoch anzuhören und können auf diesem Weg ihre Bedenken gegen eine derartige Verfahrensführung anbringen (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a, Rn. 3). Wieviel Zeit den Parteien dazu zu gewähren ist, ist nicht gesetzlich geregelt und wird im Einzelfall zu entscheiden sein. Entscheidet sich das Gericht für die Verhandlung per Videokonferenz, so ergeht die Anordnung durch gerichtlichen Beschluss, der gem. § 128a Abs. 3 S. 2 ZPO unanfechtbar ist.
Übertragungsort vs. Terminsort
Das Gericht lädt den oder die per Videokonferenz zuzuschaltenden Verfahrensbeteiligten an den Übertragungsort, d.h. an den Ort, an dem er sich während der Videokonferenz aufhalten wird (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a, Rn. 4; Saenger/Wöstmann, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 128a, Rn. 2). Da das Gesetz insofern keine Beschränkungen diktiert, kommt als Übertragungsort grundsätzlich jeder Ort mit der erforderlichen technischen Ausstattung in Frage, beispielsweise die Kanzleiräume der Prozessbevollmächtigten. Alternativ wird derart verfahren, dass die Möglichkeit der Verhandlungsteilnahme an einem anderen, frei wählbaren Ort angeordnet wird und die Beteiligten in Vorbereitung der Videokonferenz ihre Teilnahmeorte mitteilen. Dies kommt etwa bei der Verwendung einer Videokonferenzsoftware in Betracht, die von jedem Ort aus verwendet werden kann. Es obliegt den Parteien und Prozessbevollmächtigten, für die erforderliche technische Ausstattung zu sorgen. Aufgezeichnet wird die Videokonferenz – wie auch die Verhandlung im Sitzungssaal – gem. § 128a Abs. 3 S. 1 ZPO nicht.
Terminsort, d.h. der Ort, an dem die Verhandlung stattfindet, bleibt allerdings das Gebäude des zuständigen Gerichts (Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 219, Rn. 1). Dort kommen die Kammer bzw. der Senat unter Mitwirkung der Justizbeamten und ggf. anwesender Zuschauer (Öffentlichkeit) zusammen. Dies hat zur Konsequenz, dass es auch keinem der gem. § 128a ZPO geladenen Verfahrensbeteiligten verwehrt werden kann, persönlich am Terminsort, d.h. im Sitzungssaal, zu erscheinen (BTDrs 17/12418, S. 14).
Technische Umsetzung
Welches Konferenzsystem verwendet wird, obliegt der Entscheidung des Gerichts. Beispielsweise hat der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs kürzlich in mehreren Verfahren die Durchführung der mündlichen Verhandlung per Videokonferenz mittels der Software „Teams“ von Microsoft angeordnet. Hierzu wurde eigens eine kurze Anleitung zur Verwendung der einzusetzenden Software versandt.
Konsequenzen und Bedenken
Wie attraktiv die Durchführung einer Verhandlung per Videokonferenz ist, kann angesichts der rechtlichen wie praktischen Bedenken in Frage gestellt werden:
Waffengleichheit
Das Auseinanderfallen von Übertragungs- und Terminsort bietet Anlass zur Kritik der Verhandlung per Videokonferenz. Da es weder den Parteien noch ihren Prozessvertretern verwehrt werden kann, im Sitzungssaal zu erscheinen, kann es vorkommen, dass eine Partei oder ihre Prozessbevollmächtigten in einem Patentverletzungsverfahren oder gar in einem Nichtigkeitsverfahren vor dem Bildschirm verbleiben, während die Gegenseite persönlich im Gerichtssaal erscheint. Dadurch kann zumindest ein Problem der Waffengleichheit entstehen, weil die persönliche Anwesenheit mit einer erhöhten Überzeugungskraft des Vortrags verbunden wird. Art und Überzeugungskraft des Vortrags der per Videokonferenz zugeschalteten Prozessbeteiligten mögen dagegen gehemmt sein. Eine Verhandlung auf Augenhöhe wäre mithin erst gewährleistet, wenn keine der Parteien persönlich im Sitzungssaal erscheinen dürfte. Dies erlaubt die geltende Rechtslage jedoch nicht. Entscheiden sich alle Prozessbeteiligten auf Grund dieser oder anderer Bedenken für das persönliche Erscheinen im Sitzungssaal, wird jedenfalls der Corona-bedingte Zweck der Anordnung ad absurdum geführt.
Sicherheit der Videokonferenz
Dem Erfordernis der Öffentlichkeit der Verhandlung gem. § 169 GVG wird am Terminsort, d.h. im Sitzungssaal, entsprochen. Der Übertragungsweg der Videokonferenz soll dagegen nicht öffentlich sein. Denn Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung des Inhalts der Verhandlung bleiben gem. § 169 Abs. 1 S. 2 GVG grundsätzlich unzulässig. Deshalb stellt sich die Frage, wie sichergestellt wird, dass das Konferenzsystem vor einem Zugang durch unbefugte Dritte abgesichert ist. Auch die – jüngst durch den Bundesgerichtshof angeordnete – Verwendung von „Microsoft Teams“ ist nicht frei von derartigen Risiken. Dass auch Betriebssystem und Software von Microsoft den Angriffen von Hackern ausgesetzt sind, zeigt u.a. die Einrichtung des „Microsoft Detection and Response Teams“ (DART).
Handelt es sich um eine Verhandlung, von der die Öffentlichkeit aus Geheimnisschutzgründen gem. § 172 GVG ausgeschlossen worden ist, sind derartige Sicherheitsbedenken von besonderer Relevanz. Denn dann verstoßen der unberechtigte Zugang oder die Aufnahme der Videokonferenz nicht nur gegen den Verfahrensgrundsatz der Unzulässigkeit von Ton- und Filmaufnahmen, sondern bergen die Gefahr, dass vertrauliche Informationen wie wichtige Geschäfts-, Betriebs- oder Erfindungsgeheimnisse, deren Geheimhaltungsbedürfnis das Gericht bereits durch die Anordnung des Ausschlusses der Öffentlichkeit anerkannt hat, unberechtigten Dritten zugänglich gemacht werden. Diese Gefahr besteht bei einer Videokonferenz im Vergleich zu einer „traditionellen“ Verhandlung im Sitzungssaal in erhöhtem Maße. Zunächst dürfte – bei Vorliegen der technischen Kenntnisse – der unberechtigte Zugang zu einer Videokonferenz leichter zu erreichen sein als der Zugang zu einem Sitzungssaal. Ferner erscheint eine Weiterübertragung der über den unberechtigten Zugriff auf eine Videokonferenz erlangten vertraulichen Informationen schneller und in größerem Umfang möglich. Aus haftungsrechtlicher Sicht stellt sich die Frage, inwieweit die beteiligten Prozessbevollmächtigten die Sicherheit der Übertragungswege ihrerseits gewährleisten können. Denn die Verwendung einer Videokonferenzsoftware wird in der Regel nicht über das Kanzleinetzwerk stattfinden können, um die Daten anderer Mandanten vor unberechtigten Zugriffen zu schützen. Gerade das Kanzleinetzwerk kann aber dasjenige sein, das mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet ist. Diesem Problem sind auch Parteien ausgesetzt, denen die Verwendung der Videokonferenzsoftware auf dem Unternehmensnetzwerk zum Schutz vertraulicher Daten verwehrt ist und denen kein unabhängiges Netzwerk mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen zur Verfügung steht.
Technische Störungen
Bei technischen Störungen, die sich während der Videokonferenz auftreten, muss das Gericht die mündliche Verhandlung unterbrechen, wenn die wechselseitige Verständigung der Parteien dadurch eingeschränkt wird (Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 128a, Rn. 4). Teilweise wird sogar verlangt, dass die Verhandlung abgebrochen und unter Einhaltung der Ladungsfristen neu terminiert wird (Baumbach/Lauterbach/Anders/Gehle, ZPO, 78. Aufl. 2020, § 128a, Rn. 8). In einem derartigen Fall, der angesichts der derzeit hohen Netzauslastung nicht auszuschließen ist, würde die bezweckte Verfahrensbeschleunigung vereitelt.
Teilnahme ausländischer Partei
Die Durchführung der Verhandlung per Videokonferenz mag zunächst auch aus Sicht ausländischer Mandanten vielversprechend anmuten, weil die Hoffnung besteht, sich die mitunter zeitaufwändige Anreise ersparen zu können. Allerdings ist eine Zuschaltung per Videokonferenz aus dem Ausland nicht ohne Weiteres möglich. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, d.h. auch die Teilnahme der Parteien, stellt ein hoheitliches Handeln des Gerichts im Ausland dar, das grundsätzlich nur mit Zustimmung des ausländischen Staats im Wege der vertraglichen oder außervertraglichen Rechtshilfe möglich ist (Stein/Jonas/Kern, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 128 a, Rn. 35). Will die Partei am Termin teilnehmen, bleibt ihr deshalb der Anreise nach Deutschland voraussichtlich nicht erspart.
In Gerichtsverfahren mit Anwaltszwang mag argumentiert werden, dass die Parteien ohnehin nicht selbst, sondern nur durch ihren Prozessbevollmächtigten gehört werden können. Ihre Zuschaltung aus dem Ausland könnte deshalb als reine Zuschauerfunktion eingeordnet werden, die keine Verhandlung i.e.S. darstellt. Dem steht jedoch entgegen, dass Zuschauern, d.h. der Öffentlichkeit, nur Zugang zum Sitzungssaal und gerade nicht zur Videokonferenz gewährt wird. Wollte sich die Partei einerseits für den Zugang zur Videokonferenz auf ihre Parteistellung, aber mit Blick auf das Zustimmungserfordernis des ausländischen Staats auf bloßes Zuschauen berufen, wäre dies kaum zu begründen.
Unanfechtbarkeit der Anordnung
Da die nach § 128a Abs. 1 ZPO ergangene Entscheidung unanfechtbar ist, haben die Parteien nur einmal die Chance, ihre Bedenken gegen eine Videoverhandlung anzumelden, nämlich im Wege der vor Entscheidungserlass erforderlichen Anhörung. Deshalb ist der Anhörung und der angemessenen Darstellung der Bedenken in der Stellungnahme der Partei die erforderliche Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Da noch keine gesicherte Rechtsprechung dazu bekannt ist, welche Bedenken erfolgreich gegen eine Anordnung nach § 128a Abs. 1 ZPO angeführt werden konnten, sind die Erfolgsaussichten derzeit schwer abzuschätzen. Eine gerichtliche Überprüfung der Anordnung ist allenfalls durch die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen das Urteil in der Hauptsache möglich, wenn bei der Anordnung oder Durchführung der Videokonferenz das Recht der Parteien auf ein faires Verfahren oder auf rechtliches Gehör verletzt worden ist (Stein/Jonas/Kern, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 128a, Rn. 34).
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