Autor

Dr. Friedrich Goecke

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31. Mai 2019

Gernsbach oder Berlin – Hauptbetrieb Stuttgart (?)

I. Einleitung

„In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigen Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt.“ Soweit, so eindeutig – würde man mit Blick auf den Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG meinen. Betrachtet man jedoch die Regelungsdichte des Betriebsverfassungsgesetzes und der Wahlordnung, wird schnell klar: es wird kein Klassensprecher gewählt, sondern das wichtigste betriebliche Mitbestimmungsorgan. Die Wahl zum Betriebsrat birgt zahlreiche Fallstricke. Bereits kleine Verstöße gegen die feingliedrigen Wahlvorschriften können schnell zur Anfechtbarkeit oder gar Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen. Die Betriebsratswahl muss in diesem Fall wiederholt werden, der Arbeitgeber muss hierfür die Kosten tragen. Dass selbst Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter großer Unternehmen nicht davor gefeit sind, sich in den Untiefen des Wahlverfahrens zu verirren, zeigt das heute zu besprechende Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart (Az. 21 VC 62 / 18).

II. Sachverhalt

Im März 2018 waren 17.000 Mitarbeiter der Zentrale der Daimler AG in Stuttgart aufgerufen, einen lokalen Betriebsrat für den Betrieb „Zentrale“ zu wählen. Zur Wahl aufgerufen waren außerdem zehn Arbeitnehmer, die in der Hauptstadt-Repräsentanz im 600 km entfernten Berlin Lobbyarbeit leisteten sowie 26 Arbeitnehmer aus dem Schulungszentrum im 100 km entfernten Gernsbach. Die Einbeziehung jener Arbeitnehmer begründeten Arbeitgeber und Betriebsrat damit, die Arbeitnehmer hätten sich stets der Zentrale zugehörig gefühlt. Ferner sei die Zuordnung zum Hauptbetrieb jahrelang gelebte Praxis. Fünf Arbeitnehmer, die bei der Wahl nicht gewählt wurden, hielten die Zuordnung der Arbeitnehmer zum Hauptbetrieb für rechtsfehlerhaft und fochten die Wahl beim Arbeitsgericht Stuttgart an.

III. Entscheidung

Das Gericht gab dem Antrag der Arbeitnehmer statt. Die Betriebe in Berlin und Gernsbach hätten dem Hauptbetrieb in Stuttgart nicht als Nebenbetriebe zugeordnet werden dürfen. Beide Betriebe seien vielmehr selbstständige betriebsratsfähige Einheiten. Nach Sinn und Zweck des Betriebsverfassungsgesetzes sei eine effektive Betreuung der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat Stuttgart nicht möglich. Bereits aufgrund der großen Entfernung – 100 bzw. 600 km zur Zentrale – könne eine Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß erfolgen. Hieran ändere auch nichts, dass es möglich gewesen wäre, die Arbeitnehmer durch Video- oder Telefonkonferenzen zu betreuen. Die Argumentation, die Arbeitnehmer hätten sich stets durch den Betriebsrat in Stuttgart repräsentiert gefühlt, sah das Gericht bereits dadurch widerlegt, dass sich keiner der Arbeitnehmer zur Wahl gestellt und nur sechs überhaupt an der Wahl teilgenommen hätten. Vor der Wahl hätte die Zustimmung der Arbeitnehmer eingeholt werden müssen, dass sie sich von der Arbeitnehmervertretung in Stuttgart vertreten lassen wollten. Von dieser in § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehenen Möglichkeit sei kein Gebrauch gemacht worden. Die Wahl sei infolge der Verstöße unwirksam und müsse wiederholt werden.

IV. Praxishinweis

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ruft der Praxis in Erinnerung, dass die Wahl eines Betriebsrats aufgrund der Vielzahl möglicher Fehlerquellen eine rechtlich anspruchsvolle Angelegenheit ist.

Die Wahl sollte nicht nur auf Arbeitnehmerseite sorgfältig vorbereitet, sondern auch auf Arbeitgeberseite aufmerksam beobachtet werden. Dies fängt, so zeigt es die Entscheidung, bereits mit der richtigen Bestimmung des Betriebsbegriffs und der richtigen Zuordnung der Arbeitnehmer zu den jeweiligen Betrieben bzw. Betriebsteilen an. Der Gesetzgeber eröffnet Arbeitnehmern von Betriebsteilen, in denen kein eigener Betriebsrat besteht, unter bestimmten Umständen die Möglichkeit der Teilnahme an der Betriebsratswahl des Hauptbetriebs. Dies setzt jedoch einen wirksamen Beschluss jener Mitarbeiter über die Wahlteilnahme voraus. Einen solchen Beschluss hatte es aber vorliegend nie gegeben. Allein eine jahrelang bewährte Praxis der Teilnahme konnte nicht darüber hinweghelfen, dass die Wahlteilnahme der Arbeitnehmer betriebsverfassungswidrig war. Im Ergebnis hat die falsche Zuordnung von nur 36 von 17.000 Mitarbeitern die Betriebsratswahl im Nachhinein scheitern lassen. Der Arbeitgeber muss die Kosten für (mindestens!) eine weitere Wahl tragen, 41 Betriebsräte müssen ihr Amt abgeben, die Arbeitnehmer müssen neu wählen – ein weiteres Mal zeigt sich: keine Wahl ohne Verlierer – erst Recht in dem Fall, dass die Wahl rechtlich auf tönernen Füßen steht. Da der Arbeitgeber die Kosten der Betriebsratswahl tragen muss, ist er gut beraten, die Betriebsratswahl rechtlich eng zu begleiten und ggf. die Wahlinitiatoren bzw. den Wahlvorstand präventiv auf Fehler, die zur Anfechtbarkeit und Wiederholung der Wahl führen können, hinzuweisen.

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