Am 28. Mai 2025 hat das OLG Hamm (Az. 5 U 15/17) die Klimaklage des peruanischen Bergbauern Saúl L. Lliuya gegen den deutschen Energiekonzern RWE abgewiesen. Gleichwohl könnte dieser Fall der „Türöffner“ für künftige Klimaklagen darstellen. Unternehmen in emissionsintensiven Branchen sollten vorbereitet sein!
Hintergrund des Falls ist der infolge des Klimawandels erheblich steigende Wasserspiegel eines Gletschersees oberhalb der Stadt Huaraz (Peru). Lliuya befürchtete, dass eine Flutwelle sein Grundstück überfluten könnte und traf bereits bauliche Schutzmaßnahmen im Wert von EUR 12.768,62. Diese und künftige Kosten wollte Lliuya von RWE anteilig ersetzt bekommen – entsprechend RWE’s historischen Beitrag zu den globalen industriellen CO₂-Emissionen.
Der vom OLG Hamm bestellte Sachverständige hielt eine Flutwelle auf dem Grundstück von Lliuya in den nächsten 30 Jahren für unwahrscheinlich. Das Gericht lehnte daher den beanspruchten Kostenersatz nach §§ 1004 Abs. 1 S. 2 i. V. m. §§ 677 ff., 812 BGB aus rein tatsächlichen Gründen ab.
Jedoch haben die rechtlichen Ausführungen des Gerichts im Urteil erhebliche Sprengkraft:
- Auch fernab im Ausland lebende Einzelpersonen können nach Auffassung des OLG Hamm in Deutschland ansässige Unternehmen für klimabedingte Eigentumsstörungen verantwortlich machen. Eine große Entfernung zwischen dem CO₂-emittierenden Unternehmen und dem beeinträchtigten Eigentum spielt keine Rolle.
- Für eine Inanspruchnahme des Unternehmens nach § 1004 BGB kommt es nicht auf die Rechtswidrigkeit der störenden Handlung an, sondern darauf, ob der herbeigeführte Erfolg der Rechtsordnung widerspricht. Danach kann ein Unternehmen verschuldensunabhängig für mitverursachte Klimaschäden individuell in die Verantwortung genommen werden, obwohl sich das Unternehmen gesetzeskonform verhalten hat. Entscheidend ist nach Auffassung des Gerichts nur, ob die Klimaschäden im Endergebnis als rechtswidrig anzusehen sind.
Mit diesem Weg über § 1004 BGB bereitet das OLG Hamm den Weg für eine „niedrigschwellige“ Inanspruchnahme von Unternehmen für Klimaschäden. Im Vergleich zu „klassischen“ Schadensersatzansprüchen aus dem Deliktsrecht ist unerheblich, ob dem Unternehmen eine schuldhafte Verletzungshandlung vorzuwerfen ist.
Es bleibt spannend, inwieweit die Rechtsprechung in künftigen Fällen an dem kontrovers diskutierten Rechtsverständnis des OLG Hamm festhalten wird. Emissionsintensive Unternehmen sollten aber schon jetzt aktiv werden und insbesondere die folgenden Punkte antizipieren:
- Vertragsgestaltung: Die Vertragsgestaltung entlang der Liefer- und Wertschöpfungskette ist auf den Prüfstand zu stellen. Mit Zulieferern, Abnehmern und Projektpartnern sollte die Verantwortlichkeit für Klimaschäden geklärt werden. Zu beachten ist, dass herkömmliche Haftungs- und Freistellungsklauseln in vielen Fällen nicht für den bahnbrechenden Ansatz des OLG Hamm über § 1004 BGB konzipiert sind. Es drohen Regelungslücken!
- Versicherungsschutz: Für den Ernstfall ist sicherzustellen, dass die Versicherungen des Unternehmens auch Klimaschäden abdecken. Anpassungen oder Zusatzpolicen können sinnvoll sein, um finanzielle Risiken aus Klimaklagen abzufedern. Mit Blick auf die Urteilsbegründung des OLG Hamm ist wichtig, dass die Versicherungspolicen für Klimaschäden nicht nur den „konventionellen“ Haftungsfall nach § 823 BGB, sondern auch eine Inanspruchnahme nach § 1004 BGB umfassen. Es drohen Regelungslücken!
- Dokumentation: Unternehmen sollten Emissionsdaten lückenlos entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten dokumentieren, um im Streitfall auf gerichtliche Beweisanforderungen reagieren und die eigene Verantwortlichkeit für Klimaschäden eingrenzen zu können.
- Nachhaltigkeit: Den besten „Schutz gegen Klimaklagen“ bietet ein nachhaltiges Geschäftsmodell, um den Beitrag eines Unternehmens zu den globalen industriellen CO₂-Emissionen gering zu halten.
Die langfristigen Auswirkungen der Entscheidung des OLG Hamm sind noch nicht absehbar, sollten aber angesichts der immensen Haftungsrisiken nicht unbeachtet abgewartet werden. Zumal Klimaklagen rechtspolitisch durch das kürzlich ergangene Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 23. Juli 2025 zu staatlichen Pflichten im Kampf gegen den Klimawandel zusätzlichen Auftrieb erhalten haben.