Am 1. April 2025 ist das Justizstandort-Stärkungsgesetz in Kraft getreten. Die Länder werden ermächtigt, auf Wirtschaftsstreitigkeiten spezialisierte Commercial Courts auf Ebene der Oberlandesgerichte und Commercial Chambers auf Ebene der Landgerichte einzurichten.
Den Parteien wird so die Möglichkeit gegeben, einen besonders spezialisierten Spruchkörper, dessen Zuständigkeit örtlich nicht begrenzt ist, gezielt auszuwählen und ihren Prozess auf eine einzige Tatsacheninstanz zu beschränken. Die deutsche Zivilgerichtsbarkeit soll damit für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten attraktiver werden und den Justizstandort Deutschland stärken.
Commercial Court: Die Vorteile
Die Verhandlung vor den Commercial Courts bzw. den Commercial Chambers bietet unter anderem folgende Vorteile:
- Verkürzter Instanzenzug, der zum schnelleren Abschluss der Verfahren beitragen soll.
- Verfahren können erstinstanzlich, in der Berufung (§ 184a Abs. 1 Nr. 1 GVG) und in der Revision beim BGH (§ 184b GVG) in der Verhandlungssprache Deutsch, Englisch oder gemischtsprachig geführt werden (§ 184a Abs. 3 S. 2 GVG).
- Verfahren werden mittels eines frühzeitigen Organisationstermins zur Strukturierung der weiteren Verfahrensführung effizienter gestaltet (§ 612 ZPO), sodass komplexe Verfahren– bei Bedarf auch per Videokonferenz – vorbesprochen und der Verfahrensstoff abgeschichtet werden kann.
- Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien kann ein Wortprotokoll über die Verhandlung geführt werden (§ 613 ZPO).
Neues in der ZPO: Stärkere Schutzmöglichkeiten für Geschäftsgeheimnisse
Aus dem Justizstandort-Stärkungsgesetz ergibt sich zudem eine weitere interessante Änderung: Alle Parteien haben die Möglichkeit, bei der Verhandlung über (potentielle) Geschäftsgeheimnisse die Öffentlichkeit auszuschließen und den Verfahrensgegner verstärkt zur Diskretion über die erlangten Erkenntnisse zu verpflichten (§ 273a ZPO).
Bisher hat das geltende Recht lediglich eingeschränkte Möglichkeiten für die Parteien geboten, vorgetragene Geschäftsgeheimnisse, ob im Schriftsatz oder als Beweismittel, zu schützen. Das Gericht kann die Öffentlichkeit in besonderen Fällen nach pflichtgemäßem Ermessen zwar für die Verhandlung oder einen Teil der Verhandlung ausschließen (§§ 171a ff. GVG). Ein Anspruch der betroffenen Partei auf ein nichtöffentliches Verfahren bestand jedoch nicht.
§ 273a ZPO bietet den Parteien nun die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen, streitgegenständliche Informationen ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einzustufen. Das Gericht entscheidet per Beschluss, welcher grundsätzlich im Wege der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann.
Bundesländer: Einrichtung Commercial Courts und Commercial Chambers
Die Zuständigkeit der Commercial Courts wird gem. § 119b Abs. 2 GVG durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien begründet, wobei auch eine rügelose Einlassung möglich ist. Die besonderen Verfahrensinstrumente sind auf die besonderen Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet.
- Das Land Baden-Württemberg hat als eines der ersten Bundesländer von der Ermächtigung Gebrauch gemacht und den Commercial Court Baden-Württemberg beim Oberlandesgericht Stuttgart und die Commercial Chambers beim Landgericht Stuttgart eingerichtet. Bereits ab 4. April 2025 haben die neu geschaffenen Spruchkörper ihre Arbeit aufgenommen.
- In Berlin ist ebenfalls am 1. April 2025 der Commercial Court als ein auf das Bau- und Architektenrecht spezialisierter Senat des Kammergerichts eingerichtet worden, den die Beteiligten von Bauvorhaben in ganz Deutschland und auch im Ausland bei Streitigkeiten einschalten können. Damit hat Berlin von der Möglichkeit gem. § 119b Abs. 1 S. 2 GVG n.F. Gebrauch gemacht, wonach die Zuständigkeit des Commercial Courts auf bestimmte Sachgebiete beschränkt werden kann.
- Bremen hat das Hanseatische Commercial Court für Luft- und Raumfahrt, Logistik und Seehandel Bremen (HCCB) eröffnet und hierfür bereits eine eigene Verordnung (CCVO) erlassen.
- In Nordrhein-Westfalen wurde ebenfalls Anfang April 2025 beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein Commercial Court eröffnet, der über Streitigkeiten aus Unternehmenstransaktionen, Gesellschaftsrecht, Baurecht und Versicherungsrecht ab einem Streitwert von EUR 500.000,- entscheidet, wenn Unternehmen sich auf das Oberlandesgericht als erste Instanz einigen.
An den Landgerichten Düsseldorf, Bielefeld, Essen und Köln nehmen daneben neue Commercial Chambers ihre Arbeit auf, an denen wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten aus den genannten Bereichen bereits ab einem Streitwert von mehr als EUR 5.000, - verhandelt werden, wenn die Parteien Englisch als Verfahrenssprache wählen.
Zugleich wird die an diesen Standorten bereits vorhandene, streitwertabhängige Spezialisierung für das Recht der erneuerbaren Energien (Landgerichte Bielefeld und Essen), Streitigkeiten aus dem Bereich der Informationstechnologie (Landgericht Köln) und aus Unternehmenstransaktionen (Landgericht Düsseldorf) ausgebaut, soweit auch diese Verfahren englischsprachig geführt werden sollen. Hierzu wurde bereits die Commercial-Court- und Commercial-Chambers-Verordnung erlassen.
- Zum 1. Juli 2025 will die Justiz in Hessen ebenfalls mit einem eigenen Commercial Court starten. Vorgesehen ist die Errichtung eines Commercial Court am OLG Frankfurt a.M. bestehend aus zwei Senaten und die Errichtung mehrerer Commercial Chambers am Landgericht in Frankfurt a.M.
- In Hamburg ist die Bildung zweier Senate mit festen Zuständigkeiten geplant, die sich nach dem im Einzelfall betroffenen Rechtsgebiet richten. Wann diese jedoch ihre Arbeit aufnehmen werden, ist derzeit noch offen.