28. Oktober 2024
Die Digitalisierung des Kapitalmarktes bietet Wachstumschancen, insbesondere der Einsatz transformativer Technologien wie der Distributed-Ledger-Technologie („DLT“) kann zu Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen beitragen. Darüber hinaus können Unternehmen und Finanzdienstleister ihr Produktportfolio durch den Einsatz von DLT erweitern und neue Geschäftsfelder erschließen, wie die Marktentwicklung zeigt.
Sowohl der deutsche als auch der europäische Gesetzgeber haben in den letzten Jahren durch verschiedene Initiativen einen Rechtsrahmen geschaffen, der sukzessive angepasst und erweitert wird. Am 29. Juni 2024 ist die EU-Verordnung 2023/1114 über Märkte für Kryptowerte („MiCAR“) in Kraft getreten, die gemäß Art. 149 Abs. 2 MiCAR ab dem 30. Dezember 2024 unmittelbar geltendes Unionsrecht sein wird und international große Aufmerksamkeit erregt hat. Die MiCAR setzt neue Impulse für eine Token-Ökonomie in Europa und soll zum Anlass genommen werden, um einen Überblick über die aktuellen Änderungen des Rechtsrahmens für digitale Vermögenswerte zu geben.
Die MiCAR schafft einen umfassenden Rechtsrahmen für Primär- und Sekundärmärkte für Kryptowerte. Sie soll sicherstellen, dass die Gesetzgebungsakte der Union dem digitalen Zeitalter angemessen sind und zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft beitragen. Nach den Erwägungsgründen des Unionsgesetzgebers, besteht ein politisches Interesse an der Entwicklung und Förderung der Einführung transformativer Technologien im Finanzsektor.
Zur Durchführung der MiCAR ist der Erlass eines Gesetzes über die Digitalisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktdigitalisierungsgesetz („FinmadiG“) vorgesehen. In dem Regierungsentwurf zum FinmadiG schreibt das Bundesfinanzministerium, dass mit dem Einsatz innovativer Technologien, wie der Distributed Ledger Technologie, Effizienzen gesteigert und Kosten reduziert werden können. Mit dem Entwurf des FinmadiG wird auch ein Entwurf über ein Kryptomärkteaufsichtsgesetz vorgelegt.
Die DLT ist der Betrieb und die Nutzung von Distributed Ledgern, d.h. eines Informationsspeichers, der Aufzeichnungen über Transaktionen enthält und der unter Verwendung eines Konsensmechanismus auf eine Reihe von DLT-Netzwerkknoten verteilt und zwischen ihnen synchronisiert wird (Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 MiCAR). Dies schließt die Blockchain-Technologie mit ein.
Um mit Innovationen und technologischen Entwicklungen Schritt halten zu können, sind die Begriffe „Kryptowerte“ und „DLT“ so breit wie möglich definiert (Erwägungsgrund 16 der MiCAR).
Kryptowerte gehören zu den wichtigsten Anwendungen der DLT. Ein Kryptowert ist gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 5 MiCAR eine digitale Darstellung eines Werts oder eines Rechts, der bzw. das unter Verwendung der DLT oder einer ähnlichen Technologie elektronisch übertragen und gespeichert werden kann. Die MiCAR unterscheidet drei Arten von Kryptowerten, namentlich vermögenswertereferenzierte Token und E-Geld-Token (sog. Stablecoins) sowie Utility-Token.
Mit jeder Art von Token sind nach der MiCAR spezifische Rechtsfolgen für die Marktteilnehmer verbunden. Kryptowerte, die als Finanzinstrumente im Sinne der Begriffsbestimmung in der Richtlinie 2014/65/EU („MiFiD II“) qualifizieren (sog. Security Token), fallen aber nicht in den Anwendungsbereich der MiCAR (Erwägungsgrund 3 der MiCAR). Kryptowerte und tokenisierte Finanzinstrumente stehen daher in einem Alternativverhältnis. Vor diesem Hintergrund definiert der Unionsgesetzgeber Finanzinstrumente nunmehr in einer konsolidierten Fassung der MiFiD II seit dem 28. März 2024 unter Art. 14 Abs. 1 Nr. 15 MiFiD II als die in Anhang I Abschnitt C genannten Instrumente, einschließlich mittels DLT emittierter Instrumente. Dabei fallen die klassischen Kryptowährungen, wie etwa der Bitcoin oder Ethereum in den Anwendungsbereich der MiCAR und nicht der MiFiD II.
Bereits mit Inkrafttreten des elektronischen Wertpapiergesetzes („eWpG“) im Jahre 2021 hatte der deutsche Gesetzgeber einen Rechtsrahmen für die Begebung elektronischer Wertpapiere nach deutschem Recht geschaffen. Das eWpG erfasste zunächst nur Inhaberpapiere (z.B. Inhaberschuldverschreibungen wie klassische Anleihen, Pfandbriefe, Strukturierte Produkte, Wandelschuldverschreibungen, Anteilsscheine an Investmentvermögen nach § 95 KaGB), nicht jedoch Namenspapiere und Orderpapiere. Durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz („ZuFinG“) wurde im Jahre 2023 das eWpG geändert und die Möglichkeit geschaffen, Aktien durch Eintragung in ein elektronisches Register auszugeben. Während Namensaktien sowohl als Zentralregisterwertpapier gem. § 4 Abs. 2 eWpG als auch Kryptowertpapier gem. § 4 Abs. 3 eWpG ausgestaltet werden können, muss eine Inhaberaktie stets als Zentralregisterwertpapier ausgestaltet sein.
Zentralregisterwertpapiere, die in ein zentrales Register eingetragen sind (§ 4 Abs. 2 eWpG), stellen heute den Regelfall elektronischer Wertpapiere nach deutschem Recht dar. Dabei werden die Wertpapiere in ein zentrales Wertpapierregister eingetragen (§ 12 Abs. 1 eWpG), welches durch eine Wertpapiersammelbank (d.h. Clearstream Banking AG, Frankfurt) oder einem von der Emittentin in Textform ausdrücklich ermächtigten Verwahrer geführt wird, der über eine Erlaubnis zum Betreiben des Depotgeschäfts im Inland verfügt (§ 12 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 5 bzw. Abs. 6 eWpG). Eine - in der Praxis übliche - Sammeleintragung im zentralen Wertpapierregister von bei Clearstream verwahrten Wertpapieren ermöglicht die Abwicklung von Zentralregisterwertpapieren im Effektengiro (vgl. § 12 Abs. 3 eWpG und § 9b Abs. 1 DepotG n.F.). Die Einbeziehung des Wertpapiers in das Effektengiro ist wiederum notwendige Voraussetzung für die Zulassung zum regulierten Markt oder die Einbeziehung in einen MTF (und damit insbesondere Freiverkehrssegmente an Börsen) oder OTF, Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 der Verordnung über Zentralverwahrer 909/2014/EU („CSDR“). Dies ist ein zentraler Grund für die Verbreitung dieser Begebungsform (im Gegensatz zum Kryptowertpapier). Hier setzen auch Wertpapiersammelbanken, Intermediäre und Marktinfrastrukturbetreiber mit ihren Plattformen für elektronische Wertpapiere an, die über eine private Blockchain betrieben werden und ggf. an die bestehende Marktinfrastruktur der Wertpapierbörse angebunden sind. Beispielsweise hatte Euroclear, ein wichtiger Akteur in der globalen Clearing-Infrastruktur, eine digitale Wertpapieremissionsplattform (D-FMI) eingeführt, die die Ausgabe, den Vertrieb und die Abwicklung vollständig digitaler Wertpapiere auf Basis der DLT ermöglicht. D-FMI ist mit der traditionellen Abwicklungsplattform von Euroclear für Sekundärmarktgeschäfte verbunden und gewährt Emittenten vollen Zugang zu Handelsplätzen und Liquiditätsmanagementeinrichtungen. Ein wesentlicher Vorteil dieses Dienstes ist die vollständige CSDR-Konformität, die es ermöglicht, die digitalen Wertpapiere an einer Börse im EWR zu notieren.
Die Plattform basiert auf einer privaten und genehmigten Blockchain (R3 Corda Distributed Ledger Technology), die für die Ausgabe und den primären Vertrieb der digitalen Wertpapiere verwendet wird. Nach der primären Abwicklung zwischen Emittentin und Händler auf D-FMI werden die digitalen Wertpapiere bei der Euroclear Bank hinterlegt, sodass Sekundärmarktübertragungen zwischen Inhabern von Konten im Altsystem von Euroclear wie bei jedem anderen international abgewickelten globalen Wertpapier möglich sind.
Die erste Anleihe auf der Plattform war eine digitale Standardanleihe in Höhe von EUR 100 Millionen, die von der IBRD, einer Unterabteilung der Weltbank, nach englischem Recht (dokumentiert im Rahmen des Debt-Issuance-Programms der IBRD) begeben und an der Luxemburger Börse notiert wurde. Obwohl die Plattform auf einer privaten Blockchain basiert, ist sie ein wichtiger und notwendiger Schritt in die richtige Richtung, um DLT-basierte Abwicklungsmechanismen mit der traditionellen Clearing-Infrastruktur zu vernetzen.
Anders als Zentralregisterwertpapiere werden Kryptowertpapiere in einem Kryptowertpapierregister geführt. Dieses Kryptowertpapierregister muss gemäß § 16 Abs. 1 eWpG auf einem fälschungssicheren Aufzeichnungssystem geführt werden, in dem Daten in der Zeitfolge protokolliert und gegen unbefugte Löschung sowie nachträgliche Veränderung geschützt gespeichert werden. Ein solches Register kann - und wird in der Praxis - unter Verwendung von DLT geführt. Eine Pflicht zur Verwendung von DLT bei der Führung eines Kryptowertpapierregisters besteht aber nicht.
Das Kryptowertpapierregister darf führen, wer über die erforderliche Erlaubnis nach §§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 8, 32 Abs. 1 Satz 1 KWG verfügt. Emittenten von Kryptowertpapieren haben daher einen zugelassenen Registerführer zu beauftragen und öffentlich zu benennen. Unterbleibt eine solche Benennung, gilt die Emittentin als Registerführer und bedarf deshalb der erforderlichen Erlaubnis der BaFin für diese Finanzdienstleistung. Kryptowertpapierregisterführer werden nur bei Emissionen von Kryptowertpapieren nach dem deutschen eWpG benötigt. Bei der Ausgabe von Wertpapiertoken, die nicht dem eWpG unterfallen (beispielsweise im Fall von Namensschuldverschreibungen), muss hingegen kein Kryptowertpapierregister nach Maßgabe des eWpG geführt werden. Verantwortlicher und Pflichtenadressat ist die registerführende Stelle, die die ordnungsgemäße Führung des Kryptowertpapierregisters (vgl. § 18 Abs. 2 bis Abs. 5 eWpG) sowie die Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität der Registerdaten zu gewährleisten hat (§ 7 eWpG). Der Registerführer hat sicherzustellen, dass alle Anforderungen an die Niederlegung (als Voraussetzung für die wirksame Entstehung des elektronischen Wertpapiers), einschließlich der Veröffentlichung der Bedingungen (T&C) auf einer Internetseite sowie - im Falle einer Änderung der Bedingungen - einer erneuten Veröffentlichung mit Zeitstempel, erfüllt werden (§ 4 eWpRV).
Bislang musste im Falle des Kryptowertpapiers der Registerführer auch ausgewählte Informationen dazu im Bundesanzeiger veröffentlichen. Im aktuellen Referentenentwurf des Bundesfinanzministerium über ein Zweites Zukunftsfinanzierungsgesetz („ZuFinG II“) wird die vollständige Aufhebung von § 20 eWpG vorgesehen. Die viel kritisierte und nicht mehr zeitgemäße Veröffentlichungspflicht im Bundesanzeiger soll damit nach dem Referentenentwurf (bereits vor dem 1. November 2025) entfallen.
Nicht nur der Finanzsektor, sondern auch Unternehmen nutzen innovative Technologien zur Effizienzsteigerung, Kostensenkung oder Erweiterung des Investorenkreises und ihrer Finanzierungsformen. Während die Märkte für Kryptowerte und elektronische Wertpapiere in den letzten Jahren stetig gewachsen sind und die Liquidität digitaler Vermögenswerte allmählich zunimmt, steht die gegenwärtige Infrastruktur der Entfaltung des vollen Effizienzpotentials noch entgegen. In der Praxis werden digitale Vermögenswerte nicht von allen Akteuren als Sicherheit akzeptiert. Der mangelnde Zugang zu hochliquiden Sekundärmärkten stellt zudem eine praktische Herausforderung dar, insbesondere für den Handel von Kryptowertpapieren. Dabei ist der Zugang zu Sekundärmärkten eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass digitale Vermögenswerte den Massenmarkt erreichen und sich eine kosteneffiziente Infrastruktur entwickeln kann. Hier setzen Wertpapiersammelbanken und andere Plattformbetreiber an, indem sie Lösungen entwickeln, die DLT-basierte Abwicklungsmechanismen mit der traditionellen Clearing-Infrastruktur verbinden. Die oben beschriebene Plattform von Euroclear oder eine Plattform von Clearstream (D7) sind hier bespielhaft zu nennen. Die Europäische Zentralbank hat einen mehrstufigen Prozess (Wholesale Trials) mit ausgewählten Teilnehmern gestartet, um das Potential der DLT zu beurteilen.
Im vergangenen Jahr machte Siemens mit der Ankündigung von sich reden, ein erstes als Kryptowertpapier nach dem eWPG begebenes elektronisches Wertpapier unter Nutzung einer öffentlichen Blockchain zu emittieren. Dabei wurde die digitale Anleihe im Volumen von EUR 60 Millionen bei drei Banken-Investoren privatplatziert, wobei die Zahlungsabwicklung klassisch über Bankkonten erfolgte. Bei einer ähnlichen Transaktion hatte die KfW im Mai 2024 ihre erste Blockchain-basierte digitale Anleihe als Kryptowertpapier nach dem eWpG begeben.
Im September 2024 hat die Siemens AG das Blockchain-basierte Zahlungssystem Onyx von JP Morgan und die private Blockchain von SWIAT (einem Tochterunternehmen der DEKA im Fintech-Bereich) genutzt, um eine tokenisierte Version ihres Commercial Papers auszugeben und abzuwickeln. Die Transaktion ist als weitere experimentelle Kapitalmarkttransaktion zu werten, bei der Kryptowertpapiere ausgegeben und drei Tage später wieder zurückgezahlt wurden. Die Zahlungen wurden im Onyx-Netzwerk unter Verwendung des JPM Coin Systems durchgeführt, während die Vermögensübertragungen über den delivery-versus-payment-Mechanismus (Lieferung gegen Zahlung) des SWIAT-Netzwerks abgewickelt wurden.
Auch jenseits der Finanzmärkte hat die DLT die Unternehmenswelt erreicht. In einer aktuellen Pressemitteilung vom 23. August 2024 kündigte Sony eine Blockchain „Soneium“ an, auf der es seinen Nutzern umfassende Web3-Lösungen, insbesondere Unterhaltungsdienste, anbieten will. Die Deutsche Kreditwirtschaft spricht sich in einem Arbeitspapier vom 6. März 2023 für die Emission eines „Commercial Bank Money Token“ aus. Die Positionierungen im Markt zeigen einen klaren Trend, der sich weiter fortsetzen wird.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklungen besteht im Bereich der Zentralverwahrung und der Anerkennungsfähigkeit von Sicherheiten weiterer Handlungsbedarf für den Unionsgesetzgeber, um eine Gleichwertigkeit von Finanzierungsformen zu erreichen, die wahlweise als klassische oder elektronische Wertpapiere emittiert werden. Darüber hinaus ist der Bereich der Decentralized Autonomous Organisations (DAOs), also solcher Dienstleistungen, die vollständig dezentral ausgeführt werden, derzeit noch nicht reguliert, wie sich aus Erwägungsgrund 22 MiCAR ergibt. Es wird also nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir von digitalen Vermögenswerten und den damit verbundenen Veränderungen im Recht und in den Märkten hören.