15. Juli 2024
Nachdem bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet worden war und ein österreichisches Landesgericht die unmittelbare Anwendbarkeit der EU-Verbandsklagen-Richtlinie bejaht hatte, wurde nun im Juli 2024 deren Umsetzung in nationales Recht beschlossen. Das neue Gesetz wird noch im Juli in Kraft treten.
Die EU-Richtlinie ist ein wesentlicher Bestandteil des „New Deal“ für Verbraucher, mit dem der kollektive Rechtsschutz modernisiert und vereinheitlicht werden soll. Im Mittelpunkt stehen Sammelklagen, die den Verbrauchern die Durchsetzung ihrer Rechte erleichtern sollen. Eine zentrale Bestimmung des neuen Gesetzes ermöglicht Klagen auf Abhilfe, z.B. Schadenersatz oder Reparatur. Das neue Gesetz führt zahlreiche Neuerungen ein (darunter etwa Abweichungen vom österreichischen System des Verjährungsrechts) und gibt erstmals einen gesetzlichen Rahmen für die bereits etablierte Prozessfinanzierung vor.
Vor etwa 25 Jahren wurde, in Ermangelung eines speziellen Rechtsrahmens, die so genannte "Sammelklage österreichischer Prägung" erfunden: Verbraucher traten ihre Ansprüche an Verbraucherschutzorganisationen ab, die diese Ansprüche in eigenem Namen und auf Rechnung der einzelnen Verbraucher verfolgten. Dies brachte jedoch mehrere Nachteile für Verbraucher, wie etwa erhebliche finanzielle Risiken und den Wegfall des Verbrauchergerichtsstands bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten. Mit dem neuen Gesetz werden zwar viele dieser Probleme gelöst, doch bleiben erhebliche Zweifel, ob es die Sammelklage nach österreichischem Vorbild zur Gänze ablösen wird.
Das neue Gesetz gilt ausschließlich für den B2C-Bereich. Anders als in Deutschland können kleine und mittelständische Unternehmen nicht als Kläger an diesen neuen Verfahren teilnehmen. Und anders als in der Richtlinie vorgeschlagen, ist die neue Verbandsklage nicht auf Ansprüche aus bestimmten Rechtsgebieten beschränkt.
Eine Verbandsklage kann nur von bestimmten Einrichtungen erhoben werden. Einzelne Verbraucherschutzorganisationen und staatliche Stellen sind aufgrund des Gesetzes unmittelbar klageberechtigt. Das neue Gesetz legt überdies Kriterien für die Anerkennung bestimmter Organisationen als so genannte "Qualifizierte Einrichtungen" fest, die ebenfalls die neuen Klagen erheben können. Darüber hinaus sind auch Qualifizierte Einrichtungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten in Österreich klageberechtigt.
Österreich hat für die Umsetzung der Richtlinie ein „Opt-in-System“ gewählt. Damit bestehen wesentliche Unterschiede zu dem aus den USA bekannten Modell der "Sammelklage". Eine Abhilfeklage setzt voraus, dass mindestens 50 Verbraucher von dem angeblich rechtswidrigen Verhalten eines Unternehmens unter im Wesentlichen ähnlichen Umständen betroffen sind. Neu ist, dass sich Verbraucher der Klage auch noch zu einem späteren Zeitpunkt anschließen können.
Der österreichische Gesetzgeber hat sich gegen die Einführung eines "Discovery"-Verfahrens entschieden. Das bedeutet, dass es keine durchsetzbare Verpflichtung der Beklagten Unternehmen gibt, dem Gericht Beweise vorzulegen; die Beweislast verbleibt vielmehr grundsätzlich bei der Qualifizierten Einrichtung/Verbraucherschutzorganisation. Zudem wurde auch keine Pflicht zur Leistung von „Punitive Damages“ (Strafschadensersatz) eingeführt.
Das Verfahren nach dem neuen Gesetz gliedert sich in drei Phasen:
Die Qualifizierte Einrichtung kann in der Klage beantragen, dass das Gericht über bestimmte Fragen, die für die Ansprüche aller sich anschließender Verbraucher entscheidend sind, gesondert abspricht (Zwischenfeststellungsantrag).
Vergleiche bedürfen nun der gerichtlichen Genehmigung. Wird die Genehmigung erteilt, so ist sie für alle Verbraucher, die sich der Klage angeschlossen haben, verbindlich. Im Gegensatz zur Sammelklage österreichischer Prägung können Verbraucher, die mit dem Vergleich nicht einverstanden sind, nicht „aussteigen“ und als Einzelkläger weitermachen. Hierdurch wird das Prozessrisiko für die betroffenen Unternehmen verringert.
Die Klage kann drittfinanziert werden. Das neue Gesetz sieht keine Begrenzung des Gewinnanteils des Finanzierers vor. Sowohl die Drittfinanzierung als auch der Prozessfinanzierer müssen dem Gericht offengelegt werden.
Die Umsetzung der EU-Verbandsklagen-Richtlinie soll die Grundlage für eine effizientere Durchführung von Massenverfahren schaffen. Dies ist grundsätzlich auch für beklagte Unternehmer von Vorteil, weil diese aus derzeitiger Sicht wohl eher mit einem einzigen oder zumindest wenigen Verfahren konfrontiert sein werden als mit Hunderten oder gar Tausenden von „Small Claims“, die jeweils in gesonderten Verfahren geltend gemacht werden. Das neue Gesetz lässt jedoch daran zweifeln, dass es die Sammelklage österreichischer Prägung vollständig ablösen wird; vielmehr sind auch in Zukunft neue Sammelklagen österreichischer Prägung zu erwarten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es durch das neue Gesetz, das "Qualifizierten Einrichtungen" das Erheben von Klagen ermöglicht, zu einer Zunahme von Verbraucherrechtsstreitigkeiten kommen wird. Höchste Zeit, sich vorzubereiten.