1. Juli 2021
Der Deutsche Bundestag hat am 21. Mai 2021 das Gesetz zur Umsetzung der europäischen Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsG) beschlossen. Die Zustimmung des Bundesrates erfolgte am 25.Juni 2021. Das Gesetz sieht insbesondere eine deutliche Verschärfung der Vorschriften zur Wegzugs-besteuerung gem. § 6 AStG für privat gehaltene Anteile an Kapitalgesellschaften vor.
Das Grundkonzept der Wegzugsbesteuerung bleibt zunächst grundsätzlich unverändert. Bislang unterliegen Gesellschafter von in- und ausländischen Kapitalgesellschaften mit einer Beteiligung von mindestens 1 % (Anteile i.S.d. § 17 EStG) bei Wegzug aus Deutschland gem. § 6 AStG potenziell einer Wegzugsbesteuerung, wenn sie insgesamt mindestens zehn Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig waren. Die Anteile gelten dann im Wegzugszeitpunkt als zum gemeinen Wert verkauft, so dass es potenziell zur Realisation eines steuerpflichtigen (fiktiven) Veräußerungsgewinns kommt. Dasselbe gilt insbesondere, wenn die Anteile durch Schenkung oder Todesfall auf einen im Ausland ansässigen Erwerber übergehen.
Die neue Regelung sieht eine Verkürzung des Zeitraumes der vor dem Wegzug erforderlichen unbeschränkten Steuerpflicht von zehn auf sieben Jahre vor. Steuerpflichtige werden daher künftig betroffen sein, wenn sie innerhalb der letzten zwölf Jahre insgesamt mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig waren. Abgestellt wird insoweit nicht wie bisher auf die gesamte Lebenszeit, sondern nur auf die letzten zwölf Zeitjahre. Ein Zuzügler aus dem Ausland wird von der Wegzugsbesteuerung daher künftig grundsätzlich früher betroffen sein als auf Grundlage der heutigen Zehnjahresfrist. Erschwerend kommt hinzu, dass Deutschland schon bislang bei Zuzug keine Aufstockung der Anschaffungskosten (step-up) von bei Zuzug bereits gehaltenen Anteilen gewährt (Ausnahme: Wegzugsbesteuerung im anderen Staat bei Zuzug). Bei einer Wegzugsbesteuerung wird der fiktive Veräußerungsgewinn daher gegebenenfalls auch bei Zuzüglern auf Basis der historischen Anschaffungskosten berechnet.
Nach bislang geltender Rechtslage ist die festgesetzte Wegzugssteuer grundsätzlich bis zu einer tatsächlichen Anteilsveräußerung unbefristet, zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden, wenn der Wegzügler ein EU-/EWR-Staatsbürger ist und er nach dem Wegzug in einem anderen EU-/EWR-Staat unbeschränkt steuerpflichtig wird. Dasselbe gilt in EU-/EWR-Konstellationen im Fall des Anteilsübergangs durch Erbfall oder Schenkung auf im Ausland ansässige Personen. In Drittlandsfällen kann hingegen nur im Härtefall auf Antrag eine verzinsliche Stundung gegen Sicherheitsleistung erfolgen; die Steuer ist dann in fünf Jahresraten fällig.
Das nun beschlossene Gesetz sieht demgegenüber eine drastische Verschärfung vor. Die bisherige Unterscheidung der Stundungskonzepte soll aufgegeben werden. Künftig soll die Wegzugssteuer, gleich ob EU-/EWR- oder Drittlandsfall, stets unmittelbar fällig oder auf Antrag des Steuerpflichtigen in sieben gleichen (unverzinslichen) Jahresraten entrichtet werden, im Regelfall nur gegen Sicherheitsleistung. Eine dauerhafte Stundung der Steuer wird nicht mehr möglich sein. Dies bedeutet eine definitiv eintretende Liquiditätsbelastung ohne Einkünftezufluss. In vielen Fällen wird dies nicht ohne Veräußerung der Anteile realisierbar sein; eine entsprechende Veräußerung aber wird gerade im Mittelstand nicht immer umsetzbar sein.
Nach bisherigem Recht entfällt die aufgrund eines Wegzugs festgesetzte Steuer in Drittlandsfällen rückwirkend, wenn der Steuerpflichtige nur vorübergehend abwesend ist und innerhalb von fünf Jahren nach Wegzug erneut unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland wird; dies gilt auch für den Fall des Zuzugs des Rechtsnachfolgers. Sofern berufliche Gründe für die Abwesenheit und das Fortbestehen der Rückkehrabsicht glaubhaft gemacht werden, kann das Finanzamt den Zeitraum um höchstens fünf weitere Jahre verlängern. Bei Wegzügen von EU-/EWR-Bürgern innerhalb des EU-/EWR-Raums besteht bezüglich der Rückkehrregelung keine Zeitbeschränkung.
Aufgrund der Gesetzesänderung wird der Zeitraum, in dem die Wegzugsbesteuerung durch eine Wiederbegründung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland nachträglich entfallen kann, auf sieben Jahre erweitert. Dies gilt jedoch sowohl für EU-/EWR-Wegzügler als auch in Drittlandsfällen; die bislang unbefristete Rückkehrregelung für EU-/EWR-Wegzügler entfällt entsprechend. Auf Antrag soll in den Fällen vorübergehender Abwesenheit eine zinslose Stundung der Steuer ohne Ratenzahlung erfolgen, in der Regel gegen Sicherheitsleistung.
Ausweislich der Gesetzesbegründung wird eine Glaubhaftmachung der Rückkehrabsicht nicht mehr erforderlich sein. Ausreichend ist vielmehr die bloße Absicht zur Rückkehr und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Auch die weiterhin bestehende Möglichkeit der Verlängerung des Rückzugszeitraumes auf künftig insgesamt zwölf Jahre wird einzig davon abhängig sein, ob die Rückkehrabsicht unverändert fortbesteht; auf das Vorliegen von beruflichen Gründen wird es nicht mehr ankommen. Aus Vorsichtsgründen sollte eine Rückkehrabsicht jedoch auch künftig dokumentiert werden, insbesondere wenn eine vollständige Stundung der Steuer bis zur Rückkehr beantragt werden soll.
Kann eine Wegzugsbesteuerung nicht insgesamt durch eine Anpassung der gesellschaftsrechtlichen Strukturen vermieden werden, wird die Rückkehrregelung künftig die einzige Möglichkeit sein, eine zumindest vorübergehende internationale Mobilität der Gesellschafter von Kapitalgesellschaften ohne Steuernachteile zu gewährleisten.
Die (europarechtlich sehr fragwürdige) Neuregelung wird zum 01. Januar 2022 in Kraft treten und betrifft damit alle Wegzüge ab dem 01. Januar 2022. Sofern die noch bis zum Ende des Jahres 2021 geltenden umfassenden Stundungsmöglichkeiten für Wegzüge in das EU-/EWR-Gebiet genutzt werden sollen, sollte ein potenzieller Wegzug noch bis zum 31. Dezember 2021 erfolgen. Im Einzelfall kann es sich jedoch anbieten, einen beabsichtigten Wegzug in das nächste Jahr zu verschieben: Da eine Steuerpflicht nach künftiger Rechtslage nur noch in Betracht kommen wird, wenn innerhalb der letzten zwölf Jahre eine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland für mindestens sieben Jahre bestand (frühere Zeiten der unbeschränkten Steuerpflicht werden nicht mehr berücksichtigt), kann sich die Gesetzesänderung insbesondere in Fällen eines erst innerhalb der letzten Jahre erfolgten Wiederzuzugs nach Deutschland im Einzelfall sogar günstig auswirken. Auch dies sollte bei einer möglichen Wegzugsplanung genau untersucht werden.
Ob die Regelung vor den Gerichten Bestand haben wird, bleibt in jedem Fall abzuwarten. Im Übrigen dürften Umstrukturierungen und Stiftungslösungen zur Vermeidung einer Wegzugsbesteuerung weiter an Bedeutung gewinnen.