11. Mai 2021
Die Änderungs-Richtlinie (RL) zur Entsende-RL sowie die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes (EuGH), der die österreichischen Strafbestimmungen als klar unionsrechtswidrig deklarierte, haben eine Anpassung der nationalen Bestimmungen für grenzüberschreitende Entsendungen und Überlassungen notwendig gemacht. Der Gesetzgeber plant eine entsprechende Sanierung, geht dabei aber noch weiter und sieht zusätzliche Erleichterungen vor.
Ein allererster Gesetzesentwurf (Ministerialentwurf 19.4.2021, 112/ME NR 27. GP) zu einer umfassenden Novelle des Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetzes (LSD-BG) liegt bereits vor und befindet sich aktuell im Begutachtungsverfahren. Das LSD-BG ist das „Kerngesetz“ für grenzüberschreitende Entsendungen und Überlassung. Es enthält außerdem davon unabhängig Bestimmungen gegen „Lohndumping“, womit gemeint ist, dass das gesetzlich oder kollektivvertraglich vorgesehene Mindestentgelt vorenthalten wird.
Wir haben die Gelegenheit genutzt, die geplanten sehr umfassenden Änderungen genauer unter die Lupe zu nehmen und zusammenzufassen sowie ein erstes praxisorientiertes Fazit vorgenommen.
Klar ist, die neuen gesetzlichen Regelungen werden einige deutliche Erleichterungen mit sich bringen:
Es gibt aber auch Verschärfungen:
Im Einzelnen:
Die Entsende-RL setzt für das Vorliegen einer Entsendung grundsätzlich sowohl einen Dienstleistungsvertrag zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem im Zielstaat tätigen Auftragnehmer als auch ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer während der Entsendung voraus. Die Bestimmung des LSD-BG, dass nach österreichischem Recht eine Entsendung auch ohne Abschluss eines grenzüberschreitenden Dienstleistungsvertrages vorliegen kann, war schon bislang nicht europarechtskonform und soll künftig konsequenterweise entfallen.
Hierdurch kommt es zu einer nicht unwesentlichen Einschränkung des Anwendungsbereiches des LSD-BG.
Die bisherigen Ausnahmen im Zusammenhang mit Arbeitseinsätzen von kurzer Dauer (in der Regel bis zu einer Woche) und geringem Umfang (im Sinne der Entsendetätigkeit gegenüber der normalen Tätigkeit des Mitarbeiters im Herkunftsstaat bloß „geringfügig“) zu geschäftlichen Besprechungen, gerade aber auch zur Teilnahme an Seminaren, Messen etc. bleiben zwar grundsätzlich bestehen. Die Frage nach einer Ausnahme stellt sich künftig aber überhaupt nur noch dann, wenn tatsächlich eine Entsendung nach der Entsende-RL vorliegt.
Der Gesetzgeber geht aber noch weiter: Bislang war aufgrund des Gesetzeswortlauts sowie der Systematik des Gesetzes davon auszugehen, dass sämtliche (zum Teil schon bisher bestandenen) Ausnahmen nur „greifen“, wenn es sich um einen Einsatz von kurzer Dauer und geringem Umfang handelt.
Mit der Gesetzesänderung sollen künftig nachfolgende Fälle aber unabhängig von Dauer und Umfang vom LSD-BG ausgenommen sein:
Das LSD-BG soll künftig auch dann nicht anwendbar sein, wenn der Arbeitnehmer nachweislich eine monatliche Bruttoentlohnung von durchschnittlich mindestens 125 % des Dreißigfachen der täglichen ASVG-Höchstbeitragsgrundlage (Wert 2021: EUR 6.937,50) erhält.
Für nicht dem ASVG unterliegende Arbeitnehmer und solche ohne gewöhnlichen Arbeitsort in Österreich muss die Grenze bereits in den letzten zwei Entgeltperioden vor der Entsendung oder Überlassung sowie fortlaufend währenddessen „nachweislich“ überschritten werden. Für andere Arbeitnehmer „greift“ die Ausnahme ab dem Zeitpunkt, ab dem die laufende Entlohnung den Grenzwert übersteigt.
Unklar ist, was hier „nachweislich“ bedeutet. Gemeint sind nach den Erläuterungen entsprechende Lohnzahlungsnachweise, die im Kontrollfall „bereitgehalten“ werden können. Strafbar ist das Nichtmitführen solcher Nachweise aber nicht. Ob – zumindest bei grenzüberschreitenden Entsendungen und Überlassungen – mangelnde Nachweislichkeit im Kontrollfall bei Hochverdienern dann wieder zur Anwendbarkeit des LSD-BG führt, ist unklar und sollte im Gesetz noch genauer definiert werden (bei Inlandsfällen sollte die Sozialversicherung ohnehin meist über die Meldedaten verfügen). >
Gesetzlich klargestellt wurde, dass das LSD-BG auch auf für längere Dauer zu Schulungszwecken entsandte oder überlassene Arbeitnehmer keine Anwendung findet (dies unter gewissen Voraussetzungen wie etwa, dass keine Arbeitsleistung geschuldet wird oder allfällige Ergebnisse unwesentlich sind, der Arbeitnehmer nicht in den betrieblichen Organisationsablauf eingeordnet ist, etc.).
Der bereits für vorübergehende Konzernentsendungen bestehende Ausnahmetatbestand wird erweitert, nämlich auf Fälle von konzerninternen vorübergehenden Entsendungen oder Überlassungen einer besonderen Fachkraft für Arbeiten bei Lieferung, Inbetriebnahme (inkl. Schulungen), Wartung, Servicearbeiten sowie bei der Reparatur von Maschinen, Anlagen und EDV-Systemen.
Mit Blick auf die Judikatur des EuGH, die auch von den nationalen Höchstgerichten aufgegriffen wurde, werden die Strafbestimmungen umfassend angepasst.
Die vom europäischen Höchstgericht geforderte Verhältnismäßigkeit soll durch Entfall der Kumulation und Schaffung eines Strafrahmens ohne Mindeststrafe, deren oberes Ende zugleich die Höchstgrenze bildet, hergestellt werden. Dies sowohl bei den Formaldelikten als auch bei der Unterentlohnung. Wesentlich ist, dass sohin nur noch eine Strafe verhängt werden darf; die Wortfolge „pro Arbeitnehmer“ soll daher entfallen.
Bei der Unterentlohnung sind künftig mehrere Strafrahmen (in fünf Stufen) vorgesehen, die an die Höhe des vorenthaltenen Entgelts (somit an den Schaden) und zusätzlich an den Verschuldensgrad als erschwerendes Moment und die Höhe der durchschnittlichen Unterentlohnung anknüpfen sollen. Der Maximalstrafrahmen wurde mit EUR 400.000,- festgelegt, der aber nur in „Extremfällen“ zur Anwendung gelangen soll (sofern die Summe des vorenthaltenen Entgelts höher als EUR 100.000,- ist und das Entgelt vorsätzlich um durchschnittlich mehr als 50 Prozent vorenthalten wurde). Die Strafstufen bewegen sich sonst je nach Höhe des Schadens bei bis zu EUR 50.000,- 100.000,- und 250.000,-. Bei Kleinbetrieben bis zu neun Beschäftigten liegt der Strafrahmen bei max. EUR 20.000,-, wenn der Schaden aus Unterentlohnung diesen Betrag nicht übersteigt.
Das verhindert in Zukunft Strafexzesse wie im Fall Maksimovic, was der EuGH zu Recht für rechtswidrig erkannt hat. Dort waren aufgrund von Formaldelikten bei einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung über einzelne Vorstandsmitglieder eines österreichischen Beschäftigers Geldstrafen von jeweils über EUR 2 Mio., bzw. Ersatzfreiheitsstrafen von über 4 Jahren verhängt worden.
Künftig sollen sämtliche Lohnunterlagen sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache bereitgehalten werden können. Bislang galt dies nur für den Arbeitsvertrag; sämtliche andere Unterlagen mussten auch aus dem Englischen grundsätzlich übersetzt werden.
Zudem kommt es zu Erleichterungen für sehr kurz andauernde Entsendungen. Künftig sollen bei Entsendungen von Arbeitnehmern, die nicht länger als 24 Stunden dauern (wobei „Austausche“ zu berücksichtigen sind), an Lohnunterlagen „nur“ der Arbeitsvertrag oder Dienstzettel und Arbeitszeitaufzeichnungen bereitgehalten werden müssen.
Zudem soll die Meldung auch dann als vollständig erstattet gelten, wenn anstelle eines ZKO-3-Formulars ein ZKO-4-Formular oder umgekehrt verwendet wird, sofern das irrtümlich verwendete Formular vollständig ausgefüllt ist. Die bloße irrtümliche Benützung des falschen Formulartyps soll künftig nicht mehr bestraft werden (können).
Hier soll klargestellt werden, dass die Meldung an die zuständigen Behörden für die wirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung des LSD-BG nur dann zwingend ist, wenn ein Arbeitnehmer bestellt werden soll. Vertretungsorgane – also v.a. Geschäftsführer – können aus ihrem Kreis auch ohne Meldung an die Behörde wirksam eine Person – in dem Fall zum sog. verantwortlichen Vertretungsorgan – bestellen.
Künftig soll grundsätzlich das (gesamte) österreichische Arbeitsrecht ab einer Dauer der Entsendung oder Überlassung von 12 bzw. allenfalls längstens 18 Monaten zur Anwendung gelangen, sofern dieses für den Arbeitnehmer günstiger ist, als das Recht im Entsendestaat. Diese „Günstigkeitsprüfung“ ist durch einen Vergleich der ausländischen Normen des Entsendestaates mit dem entsprechenden österreichischen Kollektivvertrag vorzunehmen. Wie genau diese neue Regelung im Zusammenspiel mit Art 8 Rom I Verordnung (EU) zu sehen ist, der das anwendbare Arbeitsrecht bei internationalen Sachverhalten regelt, wird zu prüfen sein.
Auch hier soll es aber eine Einschränkung geben. Nicht erfasst sein sollen etwa Verfahren, Formalitäten und Bedingungen für den Abschluss sowie die Beendigung des Arbeitsvertrages einschließlich Wettbewerbsverboten sowie die Regelungen betreffend „Abfertigung neu“ (BMSVG) und Betriebspensionsgesetz (BPG).
Darauf zu achten ist, dass bei Berechnung der Entsendungsdauer die Dauer einer Entsendung eines „ersetzten“ Arbeitnehmers mitzuberücksichtigen, also sohin „zusammenzurechnen“, ist.
Eine Gleichstellung erst nach 18 Monaten kann allenfalls durch Vorlage einer mit einer Begründung versehenen Mitteilung (deutsch oder englisch) erreicht werden. Gründe sind etwa längere Dauer des Dienstleistungsvertrages oder Verzögerungen / Erkrankungen, etc. Sofern bereits bekannt, ist dies schon in der Meldung bzw. einer allfälligen Änderungsmeldung anzugeben.
Gesetzlich soll festgelegt werden, dass auch die aus dem Ausland nach Österreich entsandten/überlassenen Arbeitnehmer Anspruch auf Aufwandersatz für Reise- Unterbringungs- oder Verpflegungskosten gemäß für vergleichbare Arbeitnehmer am Arbeitsort anwendbarem KV (oder Gesetz bzw. Verordnung) in gewissem Ausmaß haben.
Allerdings ist nach der derzeitigen Formulierung des Gesetzesentwurfs eher davon auszugehen, dass die Nichtbezahlung (sofern der Aufwandersatz unter § 49 Abs. 3 ASVG fällt, was etwa für die sehr praxisrelevanten kollektivvertraglichen Tages- und Nächtigungsgelder gilt, sofern sie nicht einkommens-/lohnsteuerpflichtig sind) wie bisher weiterhin nicht lohn- und sozialdumpingrelevant sein wird. Bei Nichtbezahlung drohen also dem Arbeitnehmer zwar Nachforderungen, aber grundsätzlich keine Verwaltungsstrafen.
Die den nach Österreich grenzüberschreitend entsandten oder überlassenen Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Unterkünfte müssen künftig den Anforderungen der einschlägigen Bestimmung der Arbeitsstättenverordnung entsprechen.
Im Rahmen von grenzüberschreitenden Überlassungen soll der Beschäftiger den ausländischen Arbeitgeber künftig über die geltenden gesetzlichen arbeitsrechtlichen Regelungen und die für deren Entlohnung geltenden kollektivvertraglichen Bestimmungen zu informieren haben.
Der Gesetzesentwurf enthält bedeutende Erleichterungen für Arbeitgeber bzw. deren inländische Auftraggeber. Diese sind unserers Erachtens nach zu begrüßen, weil sie Erleichterungen in der Praxis bringen, ohne aber das Schutzniveau für die Arbeitnehmer zu senken. Vereinzelt gibt es aber auch neue Hürden und Unklarheiten, zudem einen „Paradigmenwechsel“ bei längerer Einsatzdauer.
Die Harmonisierung des österreichischen Entsendebegriffs mit jenem der Entsende-RL ist jedenfalls sehr zu begrüßen; v.a. da die Bestimmungen unserer Ansicht nach schon bereits bisher europarechtskonform ausgelegt hätten werden müssen (in der Praxis ist dies allerdings kaum erfolgt). Selbes gilt für den erweiterten Ausnahmekatalog samt „Loslösung“ von der bisher in der Praxis schwer abgrenzbaren und diskutierten „kurzen Dauer und geringem Umfang“. Dies gerade auch für die „Höherverdiener“, da ab der definierten Gehaltshöhe defacto ohnehin kein Lohn- und Sozialdumping mehr vorliegen kann, und die Einhaltung der Formalverpflichtungen den Unternehmen sowie letztlich auch den prüfenden Behörden bloß einen weiteren bürokratischen Aufwand verursacht hat.
Längst überfällig ist die Anpassung der Strafbestimmungen, indem das Kumulationsprinzip und damit Strafexzesse sowie eine Mindesthöhe abgeschafft werden. Der bislang bestehende Strafrahmen führte in der Vergangenheit zum Teil nämlich zu einer mehrfachen Auf-Addierung je erfülltem Tatbestand, betroffenen Arbeitnehmer und auch noch bestellten Geschäftsführer. Hiermit erreichte man zum Teil „astronomische“ Strafhöhen, die nicht bloß europarechtswidrig waren – wie dies der EuGH in jüngerer Rechtsprechung ja zweifellos festgestellt hat. Unseres Erachtens nach waren diese auch verfassungswidrig, da sie weder mit dem verfassungsgesetzlich verankerten allgemeinen Sachlichkeitsgebot noch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nach der europäischen Grundrechtecharta im Einklang standen, sondern klar über das Ziel hinausgeschossen sind.
Weiters war schon bisher eine allfällige Bestrafung wegen der irrtümlichen Verwendung des falschen Formulartyps kaum zu rechtfertigen und jedenfalls angreifbar. Die gesetzliche Klarstellung hierzu ist daher jedenfalls willkommen. Ungeklärt ist hier allerdings noch, ob die falsche rechtliche Einschätzung, ob nun eine Entsendung oder eine Überlassung vorliegt, weiterhin sonstige Konsequenzen hat / haben kann, da im Falle einer Überlassung ja zum Teil noch weitreichendere Vorschriften zu beachten sind. Der Gesetzesentwurf jedenfalls sieht hierfür in der bislang vorliegenden Fassung keine Regelungen vor. Mit Blick auf die bisherige Behördenpraxis wird man daher bei der Einschätzung Entsendung und Überlassung weiterhin sehr sorgsam umgehen müssen, um möglichst auch keine sonstigen (Verwaltungsstraf-)Bestimmungen zu übertreten.
Eine weitere große Neuerung ist andererseits die umfassende Anwendung des österreichischen Arbeitsrechts bei längerfristigen Entsendungen, die Unternehmen vor neue Hürden stellt. Zwar wird dies voraussichtlich nicht alle Bereiche betreffen und werden sohin etwa die äußerst praxisrelevanten Kündigungsregelungen und Kündigungsschutzbestimmungen grundsätzlich auch künftig nicht auf grenzüberschreitend entsandte / überlassene Arbeitnehmer anwendbar sein. Auswirkungen wird die Neuerung aber z.B. im Bereich kollektivvertraglich bzw. gesetzlich vorgesehene Ansprüche auf Dienstfreistellung (Sonderurlaub) oder die Anwendung des Dienstnehmerhaftpflichtgesetz haben. Auch ein entsandter/überlassener Mitarbeiter wird also künftig etwa einen Anspruch auf Pflegefreistellung geltend machen können. Die „Günstigkeitsprüfung“ bedeutet einen enormen Aufwand für die Arbeitgeber, umso mehr, da viele Kollektivverträge überhaupt nur auf Deutsch vorhanden sind und selbst unter ausgewiesenen Experten oftmals strittig ist, welche Bestimmung nun insgesamt günstiger für den Arbeitnehmer ist. Hier wäre zumindest eine „offizielle“ Übersetzung sämtlicher Kollektivverträge in die englische Sprache samt entsprechender englischer Auslegungshinweise dringend geboten.
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