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Nick Storrs

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11. Mai 2020

Die Beendigung der bilateralen Investitionsschutzabkommen in der Europäischen Union

Ein Abkommen, um sie alle zu beenden?

Einführung

Am 5. Mai 2020 unterzeichneten dreiundzwanzig Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Abkommen über die Beendigung der bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (das Abkommen).

Das Abkommen beendet alle bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs), die zwischen Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, den Niederlanden, Polen, Portugal, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Zypern sowie Belgien und Luxemburg (die nur gemeinsam als Belgisch-Luxemburgische Wirtschaftsunion BITs abgeschlossen hatten) in Kraft sind.

Auch Italien unterzeichnete das Abkommen, nachdem es bereits mit der Beendigung seiner EU-internen BITs begonnen hatte.

Es gibt jedoch auch einige nennenswerte Lücken. Finnland, Irland, Österreich und Schweden haben das Abkommen nicht unterzeichnet. Die von ihnen abgeschlossenen EU-internen BITs bleiben unberührt.

Obwohl die Unterzeichnung des Abkommens eine wichtige Entwicklung darstellt, muss es noch ratifiziert werden, bevor es in Kraft treten kann. Das Übereinkommen tritt dreißig Kalendertage nach dem Tag in Kraft, an dem der Generalsekretär des Rates der Europäischen Union von zwei Mitgliedstaaten eine Ratifikations-, Genehmigungs- oder Annahmeurkunde erhalten hat.

Es wird für den dritten und alle folgenden Mitgliedstaaten dreißig Kalendertage nach Hinterlegung einer Ratifikations-, Genehmigungs- oder Annahmeurkunde durch den jeweiligen Staat wirksam.

Hintergrund des Abkommens

Mit seinem Urteil vom 6. März 2018 in der Rechtssache Slowakische Republik gegen Achmea BV (C-284/16) traf der Gerichtshof der Europäischen Union eine Entscheidung, die die Dynamik der Streitbeilegung zwischen Investoren und Staaten in Europa verunsicherte. Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass ein System einer Vielzahl unterschiedlicher Schutzvorkehrungen für Investoren und Staaten in der Europäischen Union mit dem Recht der Europäischen Union unvereinbar sei.

Der EuGH entschied, dass die Fähigkeit von Investitionsschiedsgerichten, über Fragen zu entscheiden, die die Anwendung des Rechts der Europäischen Union betreffen könnten, den Vorrang des EU-Rechts und die Rolle des EuGH bei dessen Auslegung untergräbt. Der EuGH befand, dass das Recht der Europäischen Union es den einzelnen Mitgliedstaaten verbiete, untereinander Schutzmaßnahmen im Verhältnis von Investoren zu Staaten zu vereinbaren.

Daraus ergab sich, dass eine Klausel, die einem Investor die Einleitung eines Schiedsverfahrens gegen einen Staat ermöglichte, in allen Fällen gegen das Recht der Europäischen Union verstieß, in denen

  • der Investor aus einem EU-Mitgliedstaat kam und
  • der Staat, in dem die Investition getätigt wurde, ein anderer EU-Mitgliedstaat war und
  • die Einladung zum Abschluss einer Schiedsklausel in einem internationalen Abkommen enthalten war, das zwischen dem Herkunftsmitgliedstaat des Investors und dem Mitgliedstaat, in dem die Investition getätigt wurde, in Kraft war.

Im Anschluss an die Achmea-Entscheidung unterzeichneten alle EU-Mitgliedstaaten - einschließlich des Vereinigten Königreichs - am 15. Januar 2019 und am 16. Januar 2019 Erklärungen (Finnland, Luxemburg, Malta, Slowenien, Schweden sowie Ungarn), in denen sie sich verpflichteten, alle zwischen ihnen geschlossenen BITs durch einen plurilateralen Vertrag oder, wo dies für beide Seiten zweckmäßiger wäre, bilateral zu beenden. Das Abkommen ist ein wichtiger Schritt zur Umsetzung dieser Erklärungen.

Am 24. Oktober 2019 einigte sich die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten auf den Entwurf zur Beendigung der EU-internen BITs. Das unterzeichnete Abkommen ist das Ergebnis einer Arbeit von mehreren weiteren Monaten. Trotzdem konnten vier Mitgliedstaaten noch immer keine Einigung erzielen.

Welche BITs sind betroffen?

Das Abkommen erstreckt sich auf Schiedsverfahren zwischen Investoren und Staaten auf der Grundlage der im Abkommen ausdrücklich aufgeführten EU-internen BITs und nach allen Schiedsordnungen, einschließlich ICSID, PCA, SCC, ICC, UNCITRAL und ad-hoc-Schiedsverfahren.

Es erstreckt sich nicht auf EU-interne Schiedsverfahren auf der Grundlage von Artikel 26 des Vertrags über die Energiecharta, mit denen sich die Europäische Union und die Mitgliedstaaten, wie im Abkommen angekündigt, "zu einem späteren Zeitpunkt" befassen werden. Für Energieinvestoren könnte dies ein willkommenes Zeichen dafür sein, dass sie zumindest vorläufig weiterhin den Schutz des Vertrags über die Energiecharta genießen werden.

Das Abkommen deckt auch jene BITs ab, die bereits gekündigt wurden, aber - aufgrund sogenannter „Sonnenuntergangsklauseln" („sunset clauses“) - noch wirksam sind. Eine Sonnenuntergangsklausel ist eine Bestimmung, die den Schutz von Investitionen, die vor dem Zeitpunkt der Beendigung des BITs getätigt wurden, um einen weiteren Zeitraum verlängert. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Polen bereits 2017 begonnen hatte, seine EU-internen BITs zu beenden.

Das Abkommen sieht vor, dass alle Sonnenuntergangsklauseln in den BITs, die durch das Abkommen und davor beendet wurden, beendet werden und keine Rechtswirkungen entfalten. Dies bedeutet, dass es nach Inkrafttreten des Abkommens keine Übergangszeit geben wird.

Welche Auswirkungen hat dies auf abgeschlossene, anhängige und neue Schiedsverfahren?

Das Abkommen sieht vor, dass die Einladungen zum Abschluss von Schiedsklauseln in den gekündigten BITs nicht mehr als Rechtsgrundlage für neue Schiedsverfahren dienen dürfen. Dementsprechend werden Investoren, die noch kein Verfahren eingeleitet haben, dies nicht mehr tun können.

Damit bleibt jedoch die Frage offen, was mit laufenden Verfahren geschieht.

Das Abkommen kategorisiert laufende Verfahren in "anhängige Schiedsverfahren" und "neue Schiedsverfahren". "Anhängige Schiedsverfahren" sind Verfahren, die vor dem 6. März 2018, dem Datum der Achmea-Entscheidung, eingeleitet und noch nicht abgeschlossen wurden und "neue Schiedsverfahren" sind Verfahren, die am oder nach dem 6. März 2018 eingeleitet wurden.

Für den Fall, dass einer der Unterzeichner des Abkommens Partei eines anhängigen oder neuen Schiedsverfahrens ist, sieht die Vereinbarung vor, dass er das Schiedsgericht davon in Kenntnis setzen muss, dass die Schiedsklausel in dem betreffenden BIT nicht anwendbar ist.

Darüber hinaus muss der Unterzeichner das zuständige nationale Gericht ersuchen, einen in einem solchen Schiedsverfahren bereits ergangenen Schiedsspruch aufzuheben, für nichtig zu erklären oder die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines solchen Schiedsspruchs abzulehnen.

Diese Anforderungen sind zumindest fragwürdig.

Erstens sollen sie wohl rückwirkend (und einseitig) Rechte beseitigen, die eine Partei bereits ausgeübt hat. Es bleibt abzuwarten, ob Schiedsgerichte dies als eine Beendigung ihrer Zuständigkeit ansehen werden. Es mag berechtigte Zweifel daran geben, ob die rückwirkende und einseitige Kündigung mit den Grundsätzen des nationalen und internationalen Rechts vereinbar ist.

Zweitens gibt es im Hinblick auf Schiedsverfahren nach dem ICSID-Übereinkommen kein nationales Gericht - wie es das Abkommen verlangt - das befugt wäre, einen Schiedsspruch aufzuheben. Das Aufhebungsverfahren nach dem ICSID-Übereinkommen ist nach Artikel 52 des ICSID-Übereinkommens ein internes Verfahren.

Darüber hinaus müssen ICSID-Schiedssprüche als bindend anerkannt werden und die durch einen solchen Schiedsspruch auferlegten finanziellen Verpflichtungen müssen in einem Vertragsstaat gemäss Artikel 54 vollstreckt werden "...als handle es sich um ein rechtskräftiges Urteil eines seiner innerstaatlichen Gerichte." Nach herrschender Meinung können Parteien sich nicht vor nationalen Gerichten gegen die Vollstreckung von ICSID-Schiedssprüchen verteidigen.

Hierdurch unterscheiden sich ICSID-Schiedsverfahren von allen anderen Schiedsverfahren. Die Tatsache, dass ein Schiedsverfahren ohne eine gültige Schiedsvereinbarung durchgeführt wurde, stellt in den meisten Rechtsordnungen einen Grund für die Aufhebung und Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung dar.

Dementsprechend bleibt abzuwarten, wie nationale Gerichte mit Argumenten umgehen werden, die auf einer einseitigen Beendigung der Schiedsvereinbarung auf der Grundlage des betreffenden BIT beruhen, sei es im Zusammenhang mit Artikel 54 des ICSID-Übereinkommens, nach Artikel V Absatz 1 a) des New Yorker Übereinkommens oder nach nationalem Recht – insbesondere, wenn die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung außerhalb der Europäischen Union beantragt wird.

Für anhängige Schiedsverfahren sieht das Abkommen vor, dass beide Parteien - der Investor und der Staat - unter bestimmten Bedingungen in einen "strukturierten Dialog" eintreten können, um ein Verfahren zur Vereinbarung eines Vergleichs einzuleiten.

Darüber hinaus können Investoren innerhalb der im Abkommen festgelegten Fristen vor den nationalen Gerichten ein Verfahren gegen eine im Rahmen eines anhängigen Schiedsverfahrens angefochtene Maßnahme einleiten, selbst wenn die Frist hierzu nach nationalem Recht bereits abgelaufen sein sollte.

Was sind die Auswirkungen für britische Investoren?

Insbesondere ist auch das Vereinigte Königreich kein Unterzeichner des Abkommens. Obschon das Vereinigte Königreich inzwischen am 31. Januar 2020 formell aus der Europäischen Union ausgetreten ist, war es sowohl Unterzeichner der Erklärungen aus dem Januar 2019 als auch eine der Parteien, die im Oktober 2019 an der Erörterung des Textentwurfs beteiligt waren. Nach dem „Brexit“ ist die Position, die das Vereinigte Königreich einnehmen wird, unklar.

Für britische Investoren könnte dies eine gewisse Unsicherheit bedeuten. Während mehrere BITs zwischen dem Vereinigten Königreich und den EU-Mitgliedstaaten weiterhin in Kraft sind, bringt die Erklärung vom Januar 2019 zur Beendigung dieser BITs die Investoren in eine unbefriedigende Lage. Es war damals eindeutig die politische Absicht, diese BITs zu beenden, doch in der Zeit nach Brexit könnten sich diese Absichten geändert haben. 

Es bleibt abzuwarten, wie das Vereinigte Königreich reagieren und ob es Schritte unternehmen wird, entweder das Abkommen zu unterstützen oder separate bilaterale Abkommen abzuschließen, um die BITs mit den EU-Mitgliedstaaten zu beenden. In der Zwischenzeit bleiben die britischen BITs mit den EU-Mitgliedstaaten jedoch in Kraft, und deshalb sollten Investoren einen gewissen Trost darin finden, dass sie in der Lage sein sollten, den Schutz, den diese BITs bieten, in Anspruch zu nehmen.

Anmerkung

Das Zeitalter der EU-internen BITs neigt sich dem Ende zu. Investitionsschiedsverfahren auf der Grundlage von EU-internen BITs werden bald unmöglich sein, und geschädigte Investoren innerhalb der EU werden sich anderswo nach Rechtsschutz umsehen müssen. Aus Sicht der Europäischen Kommission bedeutet dies, dass es kein paralleles System, das sich mit den Regeln des Binnenmarktes überschneidet, mehr geben wird.

Infolgedessen könnte es Fälle geben, in denen Investoren aus Drittstaaten besser als EU-interne Investoren in der Lage sein könnten, ihre Investitionen in der Europäischen Union zu schützen. Diese EU-internen Investoren und ihre Anwälte könnten sich kreative Lösungen ausdenken, um das baldige Fehlen von BITs innerhalb der EU auszugleichen: Viele werden über Möglichkeiten nachdenken, Investitionen durch Strukturen in Drittstaaten - einschließlich möglicherweise des Vereinigten Königreichs - aufzusetzen, um von dem Schutz durch BITs, den solche Investitionen mit sich bringen können, zu profitieren.

Unabhängig davon, ob das Abkommen eine willkommene Entwicklung darstellt oder nicht, sind Aspekte seiner Umsetzung unbefriedigend. Es gibt kein „scharfes“ Ende für alle EU-internen BITs am selben Tag. Vier Mitgliedstaaten haben das Abkommen nicht unterzeichnet, und es wird für verschiedene Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft treten.

Hinzu kommt die Unsicherheit, die durch die Regelungen für den Umgang mit anhängigen und neuen Schiedsverfahren entsteht. Vor dem Hintergrund einer gestaffelten Ratifizierung bleiben Zweifel für Investoren darüber, ob der Schutz, den EU-interne BITs bieten, für sie immer noch gilt.

Der einzige Bereich, in dem zumindest eine gewisse Klarheit besteht, sind die Auswirkungen des Abkommens auf Verfahren im Rahmen des Energiechartavertrags, die vom Abkommen unberührt bleiben. Die EU hat zwar angedeutet, dass diese Frage in Zukunft geklärt werden wird, doch bis auf weiteres sollten sich Energieinvestoren darauf verlassen können, dass der Schutz des Vertrags über die Energiecharta intakt bleibt.

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