20. Juni 2019
Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer hat gegenüber dem Arbeitgeber einen Rechtsanspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung am Arbeitsplatz. Lehnt ein Arbeitgeber eine stufenweise Wiedereingliederung ab, kann er sich grundsätzlich schadensersatzpflichtig machen. Nach einem neuen Urteil des BAG darf der Arbeitgeber die stufenweise Wiedereingliederung jedoch bei begründeten Zweifeln an der Gesundheitseignung des schwerbehinderten Arbeitnehmers ablehnen (BAG, Urt. v. 16.05.2019 – 8 AZR 530/17; Pressemitteilung 22/19).
Ein schwerbehinderter Beschäftigter hat gegenüber seinem Arbeitgeber einen Anspruch auf eine Beschäftigung, bei der er seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann. Deswegen ergibt sich auch ein – im Zweifel gerichtlich durchsetzbarer – Anspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung am Arbeitsplatz. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer muss einen Wiedereingliederungsplan vorlegen, der Ausführungen zu speziellen, von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien enthält, insbesondere:
Die Wiedereingliederung selbst ist jedoch kein reguläres Arbeitsverhältnis, sondern ein Vertragsverhältnis eigener Art. Es dient der Rehabilitation des Arbeitnehmers und der Erprobung, ob er die zur Erbringung seiner vertraglich geschuldeten Leistungen erforderliche Arbeitsfähigkeit wiedererlangen kann. Eine Vergütung schuldet der Arbeitgeber für den Zeitraum der Wiedereingliederung nicht (vgl. jüngst BAG, Urt. v. 6.12.2017 – 5 AZR 815/16). Gleichwohl kann natürlich (freiwillig!) eine finanzielle Leistung vereinbart werden.
Im Gegensatz hierzu haben nicht behinderte Beschäftigte bei Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung.
Das BAG hatte folgenden Fall zu entscheiden: Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer war von August 2014 bis März 2016 arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2015 fand eine betriebsärztliche Beurteilung statt, wonach eine stufenweise Wiedereingliederung an seinem Arbeitsplatz mit bestimmten Einschränkungen in der Tätigkeit befürwortet wurde. Unter Vorlage des Wiedereingliederungsplans seines behandelnden Arztes, der keine Einschränkungen in der Tätigkeit vorsah, beantragte der Arbeitnehmer die stufenweise Wiedereingliederung. Die Arbeitgeberin lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers wegen der in der betriebsärztlichen Beurteilung aufgeführten Beschränkungen nicht möglich sei.
Einem zweiten Wiedereingliederungsplan, dem ein Bericht der behandelnden Psychologin beilag, wonach Einschränkungen in der Tätigkeit nicht mehr bestanden, stimmte die Arbeitgeberin zu, nachdem auch die erneute Beurteilung durch die Betriebsärztin positiv ausfiel. Die Wiedereingliederung verlief erfolgreich und der Arbeitnehmer erlangte seine volle Arbeitsfähigkeit wieder (knapp 6 Wochen später als nach dem ersten Wiedereingliederungsplan prognostiziert).
Der Arbeitnehmer fordert den Ersatz der Vergütung, die ihm durch dadurch entgangen ist, dass die Arbeitgeberin dem ersten Wiedereingliederungsplan nicht zugestimmt hat und seine volle Arbeitsfähigkeit deshalb nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt wiederhergestellt wurde.
Während das LAG dem Arbeitnehmer die entgangene Vergütung als Schadensersatz zugesprochen und eine Haftung der Arbeitgeberin bejahte hatte, lehnt das BAG eine Schadensersatzpflicht ab. Grundsätzlich sei der Arbeitgeber zwar verpflichtet, an einer stufenweisen Wiedereingliederung des schwerbehinderten Arbeitnehmers mitzuwirken und diesen entsprechend den im Wiedereingliederungsplan gemachten Vorgaben zu beschäftigen. Allerdings dürfe bei dem Vorliegen „besonderer Umstände“ die Zustimmung zum Wiedereingliederungsplan verweigert werden. Aufgrund der ersten Beurteilung der Betriebsärztin bestand die begründete Befürchtung, dass der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers eine Beschäftigung nach dem (ersten) Wiedereingliederungsplan, der keine Einschränkungen in der Tätigkeit vorsah, nicht zulassen würde, so das BAG. Die begründeten Zweifel an der Geeignetheit des Wiedereingliederungsplans haben sich auch nicht bis zum Beginn der vorgesehenen Wiedereingliederung ausräumen lassen.
Die Entscheidung des BAG gibt Arbeitgebern eine Orientierung, wie sie sich bei zwei unterschiedlichen ärztlichen Beurteilungen zum Gesundheitszustand eines schwerbehinderten Arbeitnehmers verhalten dürfen: Verbleiben nach der betriebsärztlichen Beurteilung Zweifel daran, ob der nach den Maßgaben des behandelnden Arztes erstellte Wiedereingliederungsplan den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers hinreichend berücksichtigt und eine Wiedererlangung der vollständigen Arbeitskraft erreicht werden kann, darf der Arbeitgeber die stufenweise Wiedereingliederung ablehnen, ohne Schadenersatzzahlungen fürchten zu müssen.
Zwei Praxishinweise zum Kurzarbeitergeld
von Dr. Johanna Post
von Dr. Johanna Post
von Dr. Johanna Post