3. November 2021

Ohne Fleiß kein Preis – zum böswilligen Unterlassen von Zwischenerwerb im Kündigungsschutzprozess

  • Briefing

I. Einleitung

Im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen ist die Frage des Annahmeverzugslohns ein entscheidender Aspekt im Hinblick auf das finanzielle Risiko des Arbeitgebers. Wenn sich am Ende des Prozesses herausstellt, dass die Kündigung unwirksam war, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer grundsätzlich die gesamte Vergütung zahlen, die der Arbeitnehmer ohne Kündigung verdient hätte. Dies gilt obwohl der Arbeitnehmer (spätestens) nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr für den Arbeitgeber gearbeitet hat. Besonders wenn ein langwieriger Prozess zu erwarten ist, kann sich für Arbeitgeber ein Blick auf die Regelung des § 615 Satz 2 BGB (bzw. die insofern im Wesentlichen gleiche Vorschrift des § 11 Satz 1 Nummer 2 KSchG) lohnen. Nach der hierin enthaltenen Regel zum sog. „böswilligen Unterlassen von anderweitigem Erwerb“ können sich Arbeitgeber möglicherweise erhebliche Kosten sparen. Eine kürzlich ergangene Entscheidung des BAG gibt Anlass, das Thema einmal näher zu beleuchten und einige Gestaltungsmöglichkeiten für Arbeitgeber aufzuzeigen.

II. Gesetzliche Vorgaben und die Rechtsprechung des BAG

Gemäß § 615 Satz 2 BGB (wie bei § 11 Satz 1 Nummer 2 KSchG) muss sich der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs insbesondere den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung zu erwerben böswillig unterlässt. Es handelt sich dabei um eine Durchbrechung des in § 615 Satz 1 BGB geregelten Grundsatzes, nach dem der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs des Arbeitgebers seinen Lohn bekommt, obwohl er nicht arbeitet (Annahmeverzugslohn). Mit anderen Worten: Während eines Kündigungsschutzprozesses muss ein Arbeitnehmer in der Zeit, in der er nicht für seinen (ehemaligen) Arbeitgeber arbeitet, andere zumutbare Erwerbsmöglichkeiten wahrnehmen. Tut er das nicht, verringert sich sein Anspruch gegen den ehemaligen Arbeitgeber, auch wenn der Arbeitnehmer den Prozess am Ende gewinnt (ggf. sogar auf „Null“). Welche Tätigkeit „zumutbar“ ist, entscheiden die Gerichte im Einzelfall. Einige „Leitplanken“ hierfür ergeben sich aus der Rechtsprechung des BAG.

Jüngst befasste sich das BAG (Urt. v. 19.05.2021 – 5 AZR 420/20) mit dem Zusammenspiel von § 615 Satz 2 BGB und den Folgen eines Widerspruchs eines Arbeitnehmers im Falle des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB. Eine Arbeitnehmerin hatte dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf das Erwerberunternehmen ihres Teilbetriebs widersprochen. Die Arbeitgeberin bot der Arbeitnehmerin darauf an, befristet vom 1. August 2019 bis zum 31. Juli 2020 zu ansonsten unveränderten Bedingungen mit ihrer bisherigen Tätigkeit als Leiharbeitnehmerin bei der Erwerberin zu arbeiten (insofern bestand eine entsprechende „Übernahmevereinbarung“ mit der Erwerberin). Die Arbeitnehmerin lehnte dieses Angebot ab. Daraufhin informierte die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin darüber, sie wegen des Teilbetriebsübergangs ab dem 1. August 2019 nicht mehr beschäftigen und keinen Zugang zu den Betriebsstätten ermöglichen zu können. Ferner teilte die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin mit, dass man ihr ab dem 1. August 2019 kein Gehalt mehr zahlen würde, da sie das Angebot einer zumutbaren und gleichwertigen Beschäftigung abgelehnt habe und stellte die Gehaltszahlung wie angekündigt ein. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31. Januar 2020. Die Arbeitnehmerin klagte auf Gehaltszahlung für den Zeitraum zwischen August 2019 bis Januar 2020 (da sie ab Februar 2020 nach einem Vergleich weiterbeschäftigt wurde). Das BAG entschied, dass die Arbeitnehmerin keinen Anspruch auf die eingeklagte Gehaltsnachzahlung hat. Die Arbeitnehmerin musste sich den nach § 615 Satz 2 BGB böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerb anrechnen lassen, da sie das Angebot des Arbeitgebers, beim Erwerber befristet zu ansonsten unveränderten Bedingungen als Leiharbeiterin zu arbeiten, nicht angenommen hatte. Dies wäre der Arbeitnehmerin nach dem BAG trotz ihres Widerspruchs bezüglich des Betriebsübergangs zumutbar gewesen.

Weitere „Leitplanken“ ergeben sich aus anderen BAG-Urteilen. In einer etwas älteren Entscheidung hat das BAG entschieden, dass sich der Arbeitnehmer nicht allein darauf berufen kann, dass die andere Tätigkeit schlechter bezahlt ist – in diesen Fällen mag ihm gegenüber dem alten Arbeitgeber im Fall eines Obsiegens im Kündigungsschutzprozess ein Restanspruch verbleiben, die Möglichkeit anderweitigen, zumutbaren Erwerbs muss er in der Zwischenzeit trotzdem wahrnehmen (vgl. BAG, Urt. v. 22.03.2017 – 5 AZR 337/16). Ein böswilliges Unterlassen kann nach dem BAG auch darin liegen, dass ein Arbeitnehmer eine Änderungskündigung, die auf die Änderung der bisherigen vertraglichen Tätigkeit gerichtet ist, nicht unter Vorbehalt annimmt (BAG, Urt. v. 26.09.2007, 5 AZR 870/06).

III. Praxishinweis

Nach der Rechtsprechung des BAG kann eine anderweitige Tätigkeit dem Arbeitnehmer auch dann zumutbar sein, wenn sich einzelne Bedingungen (Identität des Arbeitgebers/Vergütung/Tätigkeit) verändern und ansonsten das Gesamtbild der Tätigkeit weitgehend übereinstimmt und nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist. Aus den „Leitplanken“ des BAG lassen sich folgende Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen, die für Arbeitgeber im Hinblick auf ihr Annahmeverzugsrisiko in Kündigungsschutzprozessen interessant sind:

  • Beim Betriebsübergang kann man mit dem Erwerber vereinbaren, dass dieser Arbeitnehmer zu im Wesentlichen gleichen Bedingungen befristet als Leiharbeiter einsetzt, wenn diese dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechen. Dabei ist zu beachten, dass eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vorliegen und daher gegebenenfalls vorab beantragt werden muss. Der Arbeitnehmer kann dann verpflichtet sein, das Angebot anzunehmen, will er anderweitigen Erwerb nicht böswillig unterlassen.

  • Man sollte dem Arbeitnehmer ein Angebot für eine neue Tätigkeit auch dann machen, wenn sich die Vergütung dabei verschlechtert. Ein Arbeitnehmer darf eine anderweitige Tätigkeit nicht allein deshalb unterlassen, weil diese schlechter bezahlt ist.

  • Wenn die Tätigkeit des Arbeitnehmers durch Ausspruch einer Änderungskündigung geändert werden muss, kann der Arbeitnehmer verpflichtet sein, das Änderungsangebot zunächst unter Vorbehalt anzunehmen, um anderweitigen Zwischenerwerb zu erzielen. Insofern kann es sich für den Arbeitgeber auch anbieten, bereits mit Ausspruch der Änderungskündigung (ggf. in einem separaten Schreiben) darauf hinzuweisen, dass der Arbeitnehmer die anderweitige angebotene Tätigkeit ab sofort ausüben kann. Dadurch kann sichergestellt werden, dass der Arbeitnehmer bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist die Möglichkeit hat, eine anderweitige Tätigkeit im Sinne des § 615 Satz 2 BGB auszuüben und somit früher zumutbaren Zwischenerwerb verdienen kann (bzw. dies früher böswillig unterlässt).

Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass sich im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen für einen Arbeitgeber ergeben, wenn er „böswillig unterlassenen Zwischenerwerb“ gegen einen angeblichen Vergütungsanspruch des (ehemaligen) Arbeitnehmers einwendet. Auch wenn der (ehemalige) Arbeitgeber selbst kein anderweitiges Arbeitsangebot gemacht hat, hat er einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer in Bezug auf die Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit. Insofern hat das BAG kürzlich klargestellt, dass der Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Anrechnung nach § 615 Satz 2 BGB verpflichtet ist, sich arbeitssuchend zu melden und er auf Verlangen des Arbeitgebers darlegen muss, welche Vermittlungsangebote ihm die Agentur für Arbeit unterbreitet hat (BAG, Urt. v. 27.05.2020 – 5 AZR 387/19). Nach entsprechender Auskunft des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber dann zunächst nur Indizien dazu vortragen, warum dem (ehemaligen) Arbeitnehmer die vermittelten Stellen zumutbar gewesen wären. Sodann obliegt es prozessual dem Arbeitnehmer, diesen Indizien entgegenzutreten und konkret darzulegen, weshalb die ihm vermittelten anderen Stellen nicht zumutbar gewesen seien.

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