7. Juli 2022
Bei der Erstellung einer Massenentlassungsanzeige ist große Sorgfalt geboten, weil eine unzureichende Massenentlassungsanzeige sämtliche davon erfassten Kündigungen unwirksam machen kann. Das LAG Hessen verschärfte die Anforderungen daran noch einmal deutlich, als es am 26. Juni 2021 urteilte, dass auch die sogenannten Soll-Angaben gemäß § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG in einer Massenentlassungsanzeige zwingend aufgenommen werden müssten. Dieses Urteil hat das Bundesarbeitsgericht am 19. Mai 2022 aufgehoben und die Rechtslage klargestellt.
Bei der Kündigung einer größeren Anzahl an Arbeitnehmern ist eine Massenentlassungsanzeige erforderlich, wenn die entsprechenden Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG überschritten werden. Bestimmte Angaben „muss“ die bei der Bundesagentur für Arbeit einzureichende Massenentlassungsanzeige laut § 17 Abs. 3 KSchG enthalten, andere Angaben „soll“ sie enthalten. Zwingend verlangt nach § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG sind Auskünfte wie etwa die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Anzahl sowie die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer wie auch der Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer.
Damit nicht genug – zusätzlich zählt § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG die sogenannten Soll-Angaben auf: „In der Anzeige sollen ferner im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden.“ Die Arbeitsagenturen sehen dafür auch regelmäßig Formulare vor, in denen diese Daten eingetragen werden können. Doch was, wenn diese Angaben in der Massenentlassungsanzeige fehlen oder unvollständig sind?
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen entschied hierzu am 26. Juni 2021 (Aktenzeichen 14 Sa 1225/20), dass eine Massenentlassungsanzeige ohne die Soll-Angaben gemäß § 134 BGB unwirksam sei.
Zur Begründung wurde das Europarecht herangezogen: Die zugrundeliegende Richtlinie (genau: Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 MERL) verlange die Mitteilung aller zweckdienlichen Angaben. Sie unterscheide nicht zwischen solchen Angaben, die auf jeden Fall erfolgen müssen und solchen, die zwar zweckdienlich, aber gleichwohl verzichtbar seien. Dieses Verständnis müsse, so das Gericht, durch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 17 KSchG umgesetzt werden. Somit müsse der Arbeitgeber die Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG zwingend mitteilen, soweit sie ihm bekannt sind, da sie zweckdienlich für die Tätigkeit der Bundesagentur für Arbeit seien. Ohne diese Auskünfte sei die Massenentlassungsanzeige unzureichend und die darauf gestützten Kündigungen folglich unwirksam.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellt nunmehr in einer neuen Entscheidung (Urteil v. 19. Mai 2022, Aktenzeichen 2 AZR 467/21) klar: „Soll bleibt soll“ – und nicht „muss“. Das Fehlen der Soll-Angaben aus § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG führt für sich allein nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.
Auch wenn die Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, so lässt sich bereits aus der Pressemitteilung erkennen, dass zur Begründung maßgeblich der gesetzgeberische Wille herangezogen wurde. Dieser dürfe von den Gerichten nicht übergangen werden, noch nicht einmal unter Berufung auf das Unionsrecht und eine richtlinienkonforme Auslegung.
Dem BAG ist beizupflichten. Ein „soll“ als „muss“ zu verstehen, würde den Wortlaut überspannen und damit die Grenzen der Auslegung überschreiten. Richtigerweise wurde damit die Entscheidung des LAG Hessen also aufgehoben. Die Massenentlassungsanzeige bedarf keiner Soll-Angaben.
Die Ausreißer-Entscheidung des LAG Hessen wurde vom BAG wieder eingefangen. Die Soll-Angaben können damit auch in Zukunft in der Massenentlassungsanzeige ausgelassen werden. Konsequenterweise muss dasselbe Ergebnis – keine Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige – auch in dem Fall gelten, in welchem zwar Soll-Angaben eingetragen werden, diese aber falsch oder unvollständig sind.
Gleichwohl bleiben Massenentlassungsanzeigen eine Herausforderung für die Praxis, da schon eine vollständige und richtige Darstellung aller Muss-Angaben anspruchsvoll ist. Viele Einzelfragen hierzu sind gerichtlich noch nicht aufgearbeitet. Leider führt auch eine Anfrage bei der Bundesagentur für Arbeit zu keiner Rechtssicherheit. Eine solche Auskunft der Behörde entfaltet im Kündigungsschutzverfahren keine Bindung. Die Massenentlassungsanzeige kann vollständig und unabhängig von den Arbeitsgerichten nachgeprüft werden. Gerade aus diesem Grund ist die Entscheidung des BAG für die Praxis zu begrüßen, um Massenentlassungsanzeigen handhabbar zu halten.
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An analysis by Taylor Wessing's international Employment, Pensions & Mobility team
von mehreren Autoren
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