18. November 2021

Wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers bei krankheitsbedingter Kündigung

  • Briefing

Der Newsletter behandelt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 22.07.2021 – 2 AZR 125/21) zur wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers bei einer krankheitsbedingten Kündigung.

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung. Die Klägerin war bei der Beklagten seit Januar 1999 beschäftigt. Ab 2012 war sie regelmäßig für einen nicht unerheblichen Zeitraum arbeitsunfähig krank. In den Jahren 2015, 2016 sowie 2018 (bis zum 18. Juli) war sie sogar durchgängig arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung für alle Krankheitstage in den Jahren 2012 und 2013 sowie für 44 Krankheitstage im Jahr 2014 und 71 Krankheitstage im Jahr 2017. In den Jahren 2015, 2016 und 2018 bestand keine Entgeltfortzahlungspflicht. Im Jahr 2015 gewährte die Beklagte der Klägerin zusätzlich Zuschüsse zum Krankengeld und eine tarifliche Einmalzahlung. Außerdem erhielt die Klägerin in den Jahren 2015 bis 2017 jeweils Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld sowie für die Jahre 2015 und 2016 jeweils einen Bonus. Die Zahlung der Krankengeldzuschüsse sowie des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes beruhte auf einer mit dem Betriebsrat vereinbarten Betriebsordnung, die Gewährung des Bonus und anderer Sonderleistungen jeweils auf Vereinbarungen mit dem Gesamtbetriebsrat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17.07.2018 ordentlich zum 28.02.2019 und berief sich zur Begründung auf die wirtschaftlichen Belastungen im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage der Klägerin stattgegeben. Auch die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.

Entscheidung

Auch nach Ansicht des BAG ist die Kündigung unwirksam, da sie nicht durch Gründe, die in der Person der Klägerin liegen, bedingt ist, § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG. Das BAG nahm zwar eine negative Gesundheitsprognose an. Betriebsablaufstörungen hat die Beklagte jedoch nicht hinreichend konkret vorgetragen Es fehlt an einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen durch die künftig zu erwartenden krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin. Eine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers liegt vor, wenn prognostisch die zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigenden Kosten jährlich insgesamt den Betrag übersteigen, der gemäß §§ 3, 4 EFZG als Entgeltfortzahlung für sechs Wochen geschuldet ist (vgl. BAG, Urteil vom 25.04.2018 - 2 AZR 6/18). Für die Erstellung einer Prognose, mit welchen wirtschaftlichen Belastungen der Arbeitgeber aufgrund künftiger krankheitsbedingter Ausfallzeiten des Arbeitnehmers zu rechnen hat, ist vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ein vergangenheitsbezogener Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich. Als kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers sind vor allem unabdingbare Entgeltfortzahlungskosten nach §§ 3, 4 EFZG zu berücksichtigen. Unter diese Vorschriften fallen auch "arbeitsleistungsbezogene" Sondervergütungen mit reinem Entgeltcharakter. Die Entgeltfortzahlung verdeutlicht eine Störung des Synallagmas; der Entgeltfortzahlung stehe keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gegenüber. Demgegenüber gehen Leistungen, mit denen ausschließlich die erbrachte und/oder eine künftig erwartete Betriebstreue und nicht auch eine bestimmte Arbeitsleistung honoriert werden soll, kündigungsrechtlich nicht zulasten des Arbeitnehmers. Dieser Leistungszweck werde durch die Arbeitsunfähigkeit nicht gestört. Das BAG führt weiter aus, dass Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt (sog. Sondervergütungen nach § 4a EFZG), selbst dann keine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung darstellen, wenn sie nicht allein für den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern auch für eine Arbeitsleistung im Bezugszeitraum gezahlt werden. Zwar führt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers insofern zu einer (teilweisen) Störung des Austauschverhältnisses. Doch ist diesbezüglich durch die Möglichkeit von Kürzungsvereinbarungen gemäß § 4a EFZG eine abschließende Risikozuweisung erfolgt. Zuschüsse zum Krankengeld sind bei dieser Prognose grundsätzlich nicht zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Ihre Zahlung beruht nicht auf einer zwingenden gesetzlichen Verpflichtung. Mit der Zusage derartiger Zuschüsse übernimmt der Arbeitgeber vielmehr "freiwillig" ein nach dem Gesetz dem Arbeitnehmer zugewiesenes Risiko. Im Ergebnis kommt der 2. Senat rein rechnerisch zu dem Ergebnis, dass die zusätzlichen Leistungen an die Klägerin im Wesentlichen für die Prognose der zukünftig zu erwartenden wirtschaftlichen Belastungen der Beklagten außer Betracht bleiben müssen.

Praxishinweis

Hier war es von Seiten der Beklagten nicht entbehrlich, gesonderte Darlegungen zu erheblichen Beeinträchtigungen ihrer betrieblichen Interessen zu führen. Die Beklagte behauptet selbst nicht, im Zeitpunkt der Kündigung habe eine krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit der Klägerin festgestanden oder es habe in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer Genesung der Klägerin gerechnet werden können (vgl. BAG, Urteil vom 13.05.2015 - 2 AZR 565/14).

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