21. Oktober 2021

Wer trägt das Risiko eines Arbeitsausfalls im Falle eines Corona-Lockdowns – Arbeitgeber oder Arbeitnehmer?

  • Briefing

I. Einleitung

Anfang des Jahres 2020 sahen sich viele Unternehmen mit einer bis dahin unbekannten Situation konfrontiert – einem staatlich angeordneten Lockdown zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Prompt stellte sich die Frage, ob auch in dieser Situation Lohn geschuldet ist. Dort, wo Kurzarbeit eingeführt werden konnte, ließ sich schnell eine Lösung finden. Dort, wo Kurzarbeit nicht eingeführt werden konnte – etwa mangels Vorliegens der Voraussetzungen – blieb die Frage offen, und wurde jetzt durch das BAG (Urt. v. 13.10.2021 – 5 AZR 211/21) geklärt.

II. Sachverhalt

Die beklagte Arbeitgeberin betreibt einen Handel mit Nähmaschinen und Zubehör, und unterhält eine Filiale in Bremen. Dort ist die Klägerin im Rahmen eines Minijobs als geringfügig Beschäftigte im Verkauf tätig und erhält eine monatliche Vergütung von EUR 432,00.

Im April 2020 musste die Beklagte das Ladengeschäft aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus“ der Freien Hansestadt Bremen vom 23. März 2020 schließen. Die Arbeitnehmer konnten nicht arbeiten. Für die nicht geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer führte die Beklagte Kurzarbeit ein. Bei der Klägerin hingegen war dies nicht möglich. Als geringfügig Beschäftigte erfüllt sie nicht die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld. Die Beklagte zahlte der Klägerin keine Vergütung für April 2020.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Zahlung ihres Entgelts für den Monat April 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.

III. Entscheidung des BAG

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt und sprachen der Klägerin den Lohn als Annahmeverzugslohn zu. Die Gerichte waren der Auffassung, die Beklagte habe das Risiko der Betriebsschließung zu tragen. Demgegenüber hatte die Revision der Beklagten vor dem BAG Erfolg: Die Klägerin hat für den Monat April 2020, in dem ihre Arbeitsleistung und deren Annahme durch die Beklagte aufgrund der behördlich angeordneten Betriebsschließung unmöglich war, keinen Anspruch auf Entgeltzahlung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Zur arbeitsvertraglichen Risikozuweisung führt das BAG in der Pressemitteilung aus:

  • Die Beklagte trage nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen würden. Denn in einem solchen Fall realisiere sich nicht das in einem bestimmten Betrieb angelegte Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung sei vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage.
  • Daher sei es Sache des Staates, ggf. für einen adäquaten Ausgleich der den Arbeitnehmern durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen. Soweit ein solcher Ausgleich – wie bei geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern – nicht gewährleistet sei, beruhe dies auf Lücken in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lasse sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht der Beklagten herleiten.

IV. Praxishinweis

Der Praxishinweis beruht allein auf der von der Pressestelle des BAG veröffentlichten Pressemitteilung. Die Urteilsgründe wurden noch nicht veröffentlicht. Die Veröffentlichung der Gründe wird mit Spannung erwartet, da wohl weitere praxisrelevante Fragen geklärt werden.

Diese Entscheidung dürfte auch auf sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer übertragbar sein. Die Argumentation des BAG, wonach Arbeitgeber nicht das Risiko des Arbeitsausfalls tragen, wenn sie ihren Betrieb aufgrund eines staatlich angeordneten Lockdowns zur Bekämpfung der Corona-Pandemie schließen müssen, weil sich in einem solchen Fall das in einem bestimmten Betrieb angelegte Betriebsrisiko nicht verwirklicht, dürfte unabhängig von der Art der Beschäftigung gelten.

Daran schließt sich die Frage an, ob und wie Arbeitgeber die Rückforderung von bereits gezahltem Lohn während der Corona-Pandemie verlangen können, wenn der entsprechende Betrieb aufgrund staatlicher Anordnung geschlossen werden musste. In diesem Zusammenhang erscheint fraglich, was gilt, wenn Arbeitgeber Kurzarbeit nicht einführen können, weil etwa der Betriebsrat nicht zustimmt oder, wenn ein Betriebsrat nicht errichtet ist, der Arbeitnehmer nicht zustimmt. Oder was gilt, wenn Arbeitgeber keine Kurzarbeit einführen, weil sie bspw. keine staatlichen Mittel in Anspruch nehmen wollen. Besteht dann unter dem Gesichtspunkt der Rücksichtnahmepflicht der Arbeitgeber auch eine Pflicht zur Einführung von Kurzarbeit, um Lohneinbußen teilweise zu verhindern? Oder wird zumindest eine dahingehende Obliegenheit der Arbeitgeber begründet?

In jedem Fall müssten Arbeitgeber etwaige Rückzahlungsansprüche gegen ihre Arbeitnehmer unverzüglich prüfen, insbesondere um ggf. geltende Ausschlussfristen zu wahren. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wann die Ausschlussfrist zu laufen beginnt. Die Ausschlussklauseln stellen für den Beginn der Frist in der Regel auf die Fälligkeit des jeweiligen Anspruchs ab.

Der Begriff der Fälligkeit ist zunächst im Sinne von § 271 Abs. 1 BGB zu verstehen, wonach die Leistung im Zweifel sofort verlangt werden kann. Demnach ist der Rückzahlungsanspruch sofort nach Zahlung des Lohns fällig. Dies würde bedeuten, dass bei einer Lohnzahlung im Frühjahr 2020 der Rückforderungsanspruch aufgrund der Ausschlussklausel bereits erloschen wäre.

Etwas anderes könnte sich jedoch bei Zugrundlegung des Begriffs der Fälligkeit im Sinne einer Ausschlussklausel ergeben. Das BAG hat in Bezug auf Ausschlussfristen einen eigenen Fälligkeitsbegriff entwickelt. Danach ist der Begriff der Fälligkeit im Sinne einer Ausschlussklausel unter Einbeziehung des Kenntnisstandes des Gläubigers und subjektiver Zurechnungsgesichtspunkte interessengerecht auszulegen.

Unter Berücksichtigung dieser subjektiven Komponente könnte die Ausschlussfrist für die Arbeitgeber erst mit der Veröffentlichung der Pressemittelung, also am 13. Oktober 2021, zu laufen beginnen. Daher empfehlen wir, etwaige Rückzahlungsansprüche unverzüglich zu prüfen und ggf. geltend zu machen, damit diese Ansprüche aufgrund der Ausschlussklausel nicht erlöschen.

Unabhängig von alledem sollten Arbeitgeber bei der Entscheidung, ob sie Rückforderungsansprüche gegen ihre Arbeitnehmer geltend machen, die personalpolitischen Auswirkungen selbstverständlich berücksichtigen.

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