Autor

Mag. Sandra Popp

Senior Associate

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20. Mai 2021

Ungültige Gleitzeitvereinbarungen und möglicher Verfall von Ansprüchen

  • Briefing

OGH vom 23.02.2021 zu 8 ObS 9/20m: Jüngst stellte der Oberste Gerichtshof fest, dass eine Gleitzeitvereinbarung wegen fehlendem Mindestinhalt ungültig ist. Wird jedoch Gleitzeit von den Arbeitsvertragsparteien „gelebt“ und sohin Zeitausgleich für vermeintliche Plusstunden konsumiert, kann der hieraus resultierende Überstundenzuschlag nach entsprechenden – diesfalls kollektivvertraglichen – Bestimmungen verfallen. 

Im Detail lag der Entscheidung folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerin arbeitete viele Jahre in einem Architekturbüro, bis das Arbeitsverhältnis beendet wurde. Gute zwei Monate später wurde über das Vermögen des Arbeitsgebers das Insolvenzverfahren eröffnet. Daraufhin begehrte die Klägerin erstmals die über Jahre angehorteten Überstundenzuschläge. Sie begründete ihren Anspruch damit, dass die vereinbarte Gleitzeitvereinbarung ungültig war, da kein Durchrechnungszeitraum in der Vereinbarung getroffen wurde. Zwischen den Parteien war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbart, dass Überstunden grundsätzlich in Form von Zeitausgleich abzugelten sind. 

Der OGH entschied, dass die Gleitzeitvereinbarung aufgrund der fehlenden Gleitzeitperiode ungültig ist. Wurde daher die Normalarbeitszeit durch vermeintliches Gleiten überschritten, so seien Überstundenzuschläge angefallen. 

Gegenständlich käme der Klägerin ein Wahlrecht zu, ob sie die Abgeltung der Überstundenzuschläge in Zeitausgleich oder Geld möchte. Träfe der Arbeitnehmer einmal diese Entscheidung, sei er an sie gebunden. Würde der Arbeitnehmer keine Auswahl treffen, bliebe das – unstrittige – Zeitguthaben als solches grundsätzlich unverändert bestehen, bis feststünde, dass der Naturalausgleich nicht mehr möglich sei, im Regelfall also bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses.

Laut OGH hat die Klägerin dieses Wahlrecht im vorliegenden Fall allerdings bereits dadurch ausgeübt, dass sie die Überstunden, aber nicht die Zuschläge (da ja gerade Wesen der Gleitzeit ist, dass die Plusstunden 1:1 ausgeglichen werden) mit Zeitausgleich abgebaut hat; also letztlich die Gleitzeit „gelebt“ hat. Die Überstundenzuschläge wären daher in Geld im Zeitpunkt der jeweiligen Konsumation der dazugehörigen Überstunde fällig geworden.

Im anwendbaren Kollektivvertrag war eine Verfallsklausel enthalten. Da die Ansprüche auf Überstundenzuschläge nicht innerhalb der in dieser festgelegten Zeitperiode geltend gemacht wurden, sind sie laut OGH verfallen. Ein Horten der bloßen Überstundenzuschläge, und zwar losgelöst von bereits ausgeglichenen Grundstunden, sei nicht Intention des Gesetzes. 

Fazit

Gleitzeitvereinbarungen müssen den gesetzlichen Mindestinhalt aufweisen, um rechtswirksam zu sein. Ist dies nicht der Fall, fallen auch bei den „vermeintlichen“ Plusstunden Zuschläge an, da es sich dann um Überstunden handelt.

Diese Zuschläge bleiben allerdings nicht ewig „stehen“, sondern können in besonderen Konstellationen, sofern eine Verfallsklausel (kollektiv- oder auch arbeitsvertraglich) wirksam vereinbart wurde, wie andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis auch, verfallen. Ob ein Verfall bei ungültiger Gleitzeitvereinbarung überhaupt denkbar ist, war bisher durchaus umstritten. Die Entscheidung ist daher begrüßenswert. Vor allem scheint es wenig sachgerecht, dass ein Arbeitnehmer, der vom Gleitzeitsystem selbst profitiert und „mitgemacht“ hat, unter Umständen erst nach Jahren Ansprüche geltend macht, die allenfalls bloß auf einem „Formfehler“ beruhen. Im Falle künftiger Forderungen sollten Arbeitgeber daher auch (allfällige) Verfallsklauseln prüfen.

Zu bedenken ist aber, dass ein möglicher Verfall der Ansprüche den Tatbestand der Unterentlohnung gemäß Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) nicht ausschließt. Hierzu wird überwiegend vertreten, dass der privatrechtliche Verfall nicht auf die öffentlich-rechtliche Strafbarkeit nach dem LSD-BG durchgreift. Auch die Nichtbezahlung arbeitsrechtlich verfallener Ansprüche kann daher verwaltungsrechtlich strafbar sein bzw. müssen unter Umständen auch verfallene Ansprüche rechtzeitig nachbezahlt werden, will man einer Strafe entgehen. Die Verjährungsfristen betragen hier in der Regel 3 bis 5 Jahre und können in Fällen durchgehender Unterentlohnung sogar darüber hinausgehen.

Arbeitgebern ist daher weiterhin (dringend) anzuraten, ihre Gleitzeitvereinbarungen gesetzeskonform zu gestalten bzw. diese zu überprüfen und dabei ganz besonders auf die entsprechenden Mindestinhalte zu achten – siehe unten. Dies umso mehr, da der Oberste Gerichtshof die Ungültigkeit nun selbst bei Fehlen des Merkmals der Durchrechnungsperiode, bestätigt hat (hier hätte man im Zweifel wohl noch am ehesten auf das Kalenderjahr abstellen können).

Die Mindestinhalte sind: 

  • Gleitzeitperiode (Durchrechnungszeitraum)
  • Gleitzeitrahmen (Zeitraum, in welchem die Arbeitnehmer Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit frei festlegen können)
  • das Höchstausmaß einer allfälligen Übertragungsmöglichkeit von Plus- und Minusstunden 
  • Dauer und Lage der fiktiven Normalarbeitszeit

Zudem ist zu beachten, dass Gleitzeitvereinbarungen, um gültig zu sein, zwingend schriftlich abzuschließen sind (durch Betriebsvereinbarung oder Einzelvereinbarung)!

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