Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 28.10.2020 (Rs. C-321/19) festgestellt, dass die Höhe der in Deutschland erhobenen Mautgebühren zumindest für den Zeitraum 2007 – 2012 zu hoch war (Lesen Sie hier die Wiedergabe des Urteilstextes in deutscher Sprache) . Grund für die Entscheidung des EuGH ist eine Vorlageanfrage des OVG Münster in einem Klageverfahren eines polnischen Spediteurs. Nach den europarechtlichen Vorgaben (Richtlinie 1999/62/EG in der Fassung der Richtlinie 2006/38/EG) kann die Höhe der Mautgebühren nicht willkürlich von den Vertragsstaaten bestimmt werden, sondern dürfen darin nur bestimmte Infrastrukturkosten für den Bau, den Betrieb, die Unterhaltung und den Ausbau von Fernstraßen einfließen. Deutschland hat, um diese zu bestimmen, eine sogenannte Wegekostenberechnung für Bundesfernstraßen in Form eines Gutachtens anfertigen lassen und die Ergebnisse der Berechnung in die Bestimmung der Höhe der Mautgebühren in § 14 Abs. 3 des Bundesfernstraßenmautgesetzes einfließen lassen. Dabei sind auch Kosten der Verkehrspolizei eingeflossen, was der EuGH nun als unzulässig bewertet hat. Der EuGH geht dabei davon aus, dass im fraglichen Zeitraum ca: 3,8% der Mautgebühren auf schon dem Grunde nach nicht ansatzfähigen Kosten beruhten (Rz. 18 des Urteils) und insgesamt bis zu 6% nicht begründet sein. Da auch in der Folgezeit die Wegekosten in Deutschland entsprechend berechnet wurden, ist davon auszugehen, dass auch die Mautgebühren in den Folgejahren überhöht waren.
Rückforderungsansprüche?
Ob deshalb Rückforderungsansprüche bestehen, soweit solche nicht bereits verjährt sind, hängt davon ab, ob jemand selbst Maut bezahlt hat oder nur Frachten bezahlt hat, in denen Mautgebühren kalkulatorisch enthalten waren.
Wer als Frachtführer, Spediteur, Hersteller und Distributeur von eigenen Waren oder als Händler mit eigenen Fahrzeugen auf deutschen Bundesfernstraßen transportiert und Mautgebühren entrichtet hat, wird einen direkten Anspruch auf Rückzahlung haben. Der EuGH hat in seinem dritten Leitsatz im o.g. Urteil ausdrücklich festgestellt, dass sich der Einzelne vor den staatlichen Gerichten unmittelbar darauf berufen kann, dass ein Mitgliedstaat die Anforderungen an die Berechnung der Infrastrukturabgabe nicht zutreffend umgesetzt hat. Anspruchsgegner ist nach Angaben der Betreiberfirma TollCollect das BAG (Bundesamt für Güterkraftverkehr).
Wer als Versender nur indirekt betroffen ist, weil er seinem Frachtführer oder Spediteur unterm Strich zuviel gezahlt hat, kann sich unter Umständen an diesen halten. Sieht die vertragliche Rahmenvereinbarung eine direkte Umlegung der Mautkosten vor, zB im Rahmen eines „erweiterten Dieselfloaters“, so erleichtert dies die Berechnung der zu viel gezahlten Frachtkosten und liegt darin ein Ansatz für Rückforderungsansprüche.
Zumeist werden die Mautgebühren aber nur kalkulatorischer Bestandteil der mit dem Frachtunternehmer vereinbarten Frachten (Fixpreise) sein. Ein vertraglicher Rückforderungsanspruch wird in diesen Fällen kaum begründbar sein. Gelingt es dem Frachtunternehmer seinerseits Rückforderungsansprüche gegenüber dem BAG durchzusetzen, so kann er im Verhältnis zu seinem Auftraggeber in Höhe der auf diesen „entfallenden“ Mautkosten als zu Unrecht bereichert angesehen werden. Im Frachtrecht ist nach § 439 HGB jedoch eine kurze Verjährung von lediglich einem Jahr anzuwenden. Sie beginnt mit dem Ablauf des Tages, an dem das Frachtgut abgeliefert wurde. In Anbetracht dieser Verjährungsregel, die auch für außervertragliche Ansprüche gilt (Koller, Transportrecht, Kommentar, 10. A., Rz. 3 zu § 439 HGB), werden eventuelle Regressansprüche der Verlader gegenüber ihren Transportunternehmern noch in größerem Umfang der Verjährung anheimfallen, als dies schon in Bezug auf Direktansprüche der unmittelbaren Mautzahler der Fall ist.
Für die Zukunft ist ein Verlangen auf Anpassung eines bestehenden Rahmenvertrages wegen gestörter Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) denkbar. Allerdings wird der auf die überhöhte Maut anfallende Anteil an den Frachtkosten die Schwelle einer echten Äquivalenzstörung kaum erreichen.