29. Oktober 2020

Spruchfähige Vorabzustimmung bei kurzfristigem Leiharbeitnehmereinsatz im mitbestimmten Schichtbetrieb

1. Einleitung

Der kurzfristige Einsatz von Leiharbeitnehmern kann notwendig werden, um vorrübergehendem Personalmangel entgegenzuwirken. Besonders – aber nicht nur – in Zeiten von Corona können zum Beispiel viele gehäuft auftretende Krankheitsfälle in der Stammbelegschaft zu einem solchen Schritt zwingen. Ein Arbeitgeber, bei dem im Schichtbetrieb gearbeitet wird und bei dem die Schichtpläne und die Zuordnung der einzelnen Arbeitnehmer hierzu der Mitbestimmung eines Betriebsrats unterliegen, kann hier nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ohne den Betriebsrat nicht mehr flexibel reagieren. Denn der 1. Senat des BAG hat seine Auffassung, dass der Betriebsrat einen kurzfristigen erstmaligen Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Grundlage seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG gerichtlich untersagen lassen kann, mit Beschluss vom 28. Juli 2020 (1 ABR 45/18, juris) ein weiteres Mal bestätigt. Das BAG zeigt allerdings mit der spruchfähigen „Vorabzustimmung“ einen Lösungsweg auf.

 

 2. Sachverhalt 

Der Arbeitgeber, bei dem im Schichtbetrieb gearbeitet wurde, bat den Betriebsrat darum, der befristeten Einstellung von Leiharbeitnehmern zuzustimmen. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung. Der Arbeitgeber teilte dem Betriebsrat daraufhin mit, er werde die Einstellungen vorläufig durchführen und beschäftigte in einem Zeitraum von ca. 2 Monaten Leiharbeitnehmer. Diese wurden entsprechend den Schichtzeiten einer allgemeinen Betriebsvereinbarung Arbeitszeit eingesetzt. Ein eigener Schichtplan wurde für die Leiharbeitnehmer nicht aufgestellt. Der Betriebsrat wollte deren Einsatz mit einer einstweiligen Verfügung verhindern, womit er vor dem Landesarbeitsgericht München scheiterte. Das LAG München sah kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt (LAG München, Beschl. vom 08.02.2018, 4 TaBVGa 16/17, juris). Im parallel eingeleiteten Hauptsacheverfahren gelangte der Sachverhalt zur Entscheidung an das BAG.

3. Entscheidung 

Das BAG hat dem Unterlassungsantrag des Betriebsrats stattgegeben. Es sah dessen Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verletzt. Die auch nur kurzeitige Beschäftigung der neu eingestellten Leiharbeitnehmer zu den in der Betriebsvereinbarung Arbeitszeit festgelegten Schichten unterfiele der Mitbestimmung des Betriebsrats. Die Befugnis des Arbeitgebers, eine Einstellung gemäß § 100 BetrVG vorläufig ohne Zustimmung des Betriebsrats vorzunehmen, befreie den Arbeitgeber nicht davon, das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu beachten. Der Konfliktlösungsmechanismus des § 100 BetrVG gehe nach Ansicht des BAG in diesen Fällen nicht vor. Es sei dabei unerheblich, ob die Arbeitgeberin die Leiharbeitnehmer konkret für die in der Betriebsvereinbarung Arbeitszeit geregelten Schichtzeiten beim Entleiher anfordere oder ob der Entleiher, bzw. sogar der Leiharbeitnehmer selbst, die Einsatzzeiten vorgebe. Sobald der Arbeitgeber einen Leiharbeitnehmer zu den in der Betriebsvereinbarung (BV) geregelten Schichtzeiten einsetze, habe der Betriebsrat über den konkreten Einsatz mitzubestimmen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die BV nicht bereits allgemeine Verfahrensgrundsätze für die Schichtzuteilung enthalte, die der Arbeitgeber lediglich im Einzelfall umsetzen müsse. Es bleibe den Betriebsparteien und damit auch einer im Fall der Nichteinigung von ihnen ggf. angerufenen Einigungsstelle dabei grundsätzlich unbenommen, die Zustimmung des Betriebsrats vorab für bestimmte Fälle festzulegen. Dies sei rechtlich zulässig, wenn sich diese „Vorabzustimmung“ auf eine eng begrenzte, hinreichend konkret beschriebene und ggf. häufig auftretende Fallgestaltung beziehe.

 

4. Praxistipp 

Eine vorläufige Einstellung von Leiharbeitnehmern in Betrieben, in denen im Schichtbetrieb gearbeitet wird, ist ohne Zustimmung des Betriebsrats nicht möglich, auch dann nicht, wenn dies zu gravierenden Verzögerungen im Betriebsablauf oder sogar zu Stillstand führt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hebelt den Konfliktlösungsmechanismus der § 100 BetrVG (vorläufige Maßnahme) bei dem erstmaligen Einsatz von Leiharbeitnehmern im Schichtbetrieb vollständig aus. Das BAG verweist die Betriebsparteien auf die Erteilung einer Vorabzustimmung in einer Betriebsvereinbarung, wobei es ausdrücklich sagt, dass diese Vorabzustimmung auch spruchfähig ist. Wenn der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert, kann die Vorabzustimmung also auch durch Einigungsstellenspruch ersetzt werden.

 

Dafür, wie die Reglung einer Vorabzustimmung aussehen muss, um seinen Anforderungen zu genügen, gibt das BAG nur eine grobe Leitlinie vor. Eng begrenzt, hinreichend konkret beschrieben und ggf. häufig auftretend müssen die erfassten Fälle sein. Die Betriebsparteien dürfen bei ihrer Regelung aber keinesfalls zu weit gehen. Eine zu pauschal gefasste Vorabzustimmung wäre nämlich wieder mitbestimmungswidrig. Der Betriebsrat würde mit einer zu weiten Vorabzustimmung in unzulässiger Weise auf sein Mitbestimmungsrecht verzichten. Die Betriebsparteien müssen in diesem Rahmen einen Weg finden.

 

Die Regelung einer Vorabzustimmung könnte nicht nur für den Fall des kurzfristigen Einsatzes von Leiharbeitnehmern getroffen werden. Es könnten auch andere Fälle der Abweichung von Schichtplänen erfasst werden. Vor diesem Hintergrund könnte man die Vorabzustimmung des Betriebsrats zum Beispiel für folgende Fälle regeln:

  • Ein Leiharbeitnehmer übernimmt die Schicht eines kurzfristig erkrankten Stammmitarbeiters
  • Ein Leiharbeitnehmer entscheidet eigenständig, in welcher Schicht er eingesetzt wird
  • Schichttausch zweier Mitarbeiter
  • Einvernehmliche Arbeitszeitveränderungen einzelner Mitarbeiter


Welche konkreten Regelungen das BAG für wirksam halten wird, lässt sich derzeit nicht für alle Fallgestaltungen sicher vorhersagen. Ein gangbarerer Weg dürfte darin liegen, in einer Betriebsvereinbarung typische Fälle zu definieren, für die der Betriebsrat vorab seine Zustimmung zu einer Abweichung vom Schichtplan erteilt und dies mit einer Benachrichtigungspflicht des Arbeitgebers zu flankieren. Das BAG hat in einer früheren Entscheidung (BAG, Beschl. v. 22.10.2019 – 1 ABR 17/18, NZA 2020, 123) eine Regelung mit folgendem Wortlaut für wirksam gehalten:

Änderung der und Abweichungen von der Personaleinsatzplanung müssen durch den Arbeitgeber mindestens eine Woche im Voraus schriftlich beim Betriebsrat beantragt und durch diesen genehmigt werden. Ist dies aus dringenden betrieblichen Gründen (z. B. kurzfristige Erkrankung von mehreren Beschäftigten der gesamten Filiale) nicht möglich, ist der Betriebsrat bzw. ein Betriebsratsmitglied unverzüglich mündlich und zusätzlich schriftlich unter Angabe von Gründen zu benachrichtigen.

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