15. April 2020
Die Ausbreitung des Coronavirus führt weltweit zu einem erheblich gesteigerten Bedarf an medizinischen Produkten wie (chirurgischem) Mund-Nasen-Schutz, Beatmungsgeräten und Schutzkleidung. In Frankreich werden daher seit Anfang März bestimmte Atemschutzmasken, die bei Unternehmen oder natürlichen Personen vorhanden sind, beschlagnahmt. Dies betrifft Lagerbestände sowie die laufende bzw. zukünftige Herstellung. Die Bundesregierung hat als weniger drastische Maßnahme zunächst den Export von Schutzmasken untersagt. Aber auch in Deutschland werden die Rufe nach Beschlagnahmemaßnahmen lauter. In diesem Kontext sind in jüngster Zeit verschiedene Gesetze sowohl auf Landes- als auch Bundesebene verabschiedet worden, die zur Unsicherheit vieler Unternehmen über die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen von staatlichen Beschlagnahmehandlungen in Deutschland führen. Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die staatlichen Befugnisse unter dem geänderten Bundesinfektionsschutzgesetz (IfSG) und dem neu erlassenen bayerischen Infektionsschutzgesetz (BayIfSG) in Bezug auf medizinische Produkte geben.
Am 28. März 2020 ist das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/18111) in Kraft getreten. Dieses sieht u.a. Änderungen an dem im Jahr 2000 verabschiedeten IfSG vor. Die Änderungen betreffen insbesondere die Koordinierung und den erheblichen Ausbau der Befugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) bei Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag. So ermächtigt das geänderte IfSG das BGM etwa dazu, im Wege der Rechtsverordnung Regelungen zur Sicherstellung und Verwendung von Arzneimitteln, Medizinprodukten, Hilfsmitteln sowie Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln zu treffen (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 4 IfSG). Die ursprünglich in einem früheren Entwurf vorgesehene Gestattung von „Beschlagnahmungen“ findet sich im finalen Gesetzestext interessanterweise nicht mehr. Neben den produktbezogenen Maßnahmen können ferner auch personelle Vorkehrungen im getroffen werden, etwa Medizinstudierende in die Versorgung einbezogen oder Angehörigen von Gesundheitsfachberufen die Befugnis zur Ausübung von heilkundlichen Tätigkeiten zur Entlastung der Ärzteschaft übertragen werden. Etwaige auf Basis des IfSG erlassene Rechtsverordnungen treten mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, spätestens aber mit Ablauf des 31. März 2021 außer Kraft.
In Kürze:
Der bayerische Landtag hat am 25. März 2020 das BayIfSG beschlossen, welches bis Jahresende befristet ist und den Landesbehörden weitreichende Befugnisse einräumt, medizinisches Material zu entziehen. Gemäß Art. 2 BayIfSG kann die zuständige Behörde bei jedermann medizinisches, pflegerisches oder sanitäres Material beschlagnahmen, soweit dies zur Aufrechterhaltung der notwendigen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung erforderlich ist. Die in Anspruch genommene Person wird verpflichtet, das Material im Rahmen eines Kaufvertrages zu dem üblichen Verkehrspreis abzugeben. Die Bestimmung des Verkehrspreises dürfte aber gerade in Krisenzeiten äußerst schwierig darstellen, da bei Lieferengpässen mitunter hohe Preise zu zahlen sind. Neben der Beschlagnahme medizinischen Materials ermöglicht das Gesetz auch den Zugriff auf medizinisches Personal. Widerspruch und Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung.
In Kürze:
Die entscheidende Weichenstellung für die weitgehenden Befugnisse unter dem IfSG und dem BayIfSG ist die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite bzw. die Ausrufung des Gesundheitsnotstands. Beides ist bislang nicht erfolgt. Staatliche Beschlagnahmemaßnahmen in Bezug auf Medizinprodukte und -artikel können daher in Bayern allenfalls auf Basis des bayerischen Katastrophenschutzgesetzes (BayKSG) ergehen. Der Katastrophenfall ist in Bayern am 16. März 2020 ausgerufen worden. Art. 9 I BayKSG ermächtigt die Katastrophenschutzbehörde, von jeder Person die Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen zu verlangen sowie die Inanspruchnahme von Sachen anzuordnen, was Beschlagnahmeanordnungen mitumfasst. Art. 9 II BayKSG ermöglicht dabei im Falle von Gefahr in Verzug auch die unmittelbare Inanspruchnahme von Sachen. Eine explizite Rechtsgrundlage für die Anordnung der Produktion bestimmten medizinischen Materials gegenüber Betrieben beinhaltet das BayKSG jedoch – im Gegensatz zum BayIfSG – nicht.
Wir haben für Sie umfassende Informationen und Handlungsempfehlungen zu zahlreichen rechtlichen Implikationen im Kontext der Coronavirus-Pandemie zusammengestellt: Coronavirus - Antworten zu rechtlichen Implikationen
von Dr. Daniel Tietjen und Katharina Hölle
von Dr. Daniel Tietjen und Katharina Hölle