14. April 2020
Die COVID-19-Pandemie stellt die Wirtschaft weltweit vor enorme Herausforderungen. Nicht nur die Pandemie selbst, sondern auch die Schutzmaßnahmen zur Vermeidung ihrer Ausbreitung treffen Unternehmen in verschiedener Weise. Insbesondere die Einschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten von Personen können sich auf die Möglichkeit der Führung und Leitung von Gesellschaften auswirken. Dies gilt immer dann, wenn gesellschaftsrechtlich das Erfordernis einer Präsenzveranstaltung besteht. Der Gesetzgeber hat hierauf mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht reagiert.
Der Gesetzgeber erkennt die Gefahr, dass die Handlungsfähigkeit von Unternehmen verschiedener Rechtsformen erheblich beschränkt sein kann, wenn diese nicht mehr in der Lage sind, auf herkömmlichem Weg Beschlüsse auf Versammlungen der entsprechenden Organe herbeizuführen. Dies betreffe sowohl die in der Regel jährlich stattfindenden ordentlichen Versammlungen, als auch außerordentliche Versammlungen, die aufgrund besonderer Maßnahmen erforderlich seien. Um dem Entgegenzuwirken, sieht Artikel 2 des Gesetzentwurfs ein „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19- Pandemie“ vor.
Während § 1 die vereinfachte Durchführung sogenannter virtueller Hauptversammlungen der AG betrifft, trifft § 2 für die GmbH folgende Regelung:
„Abweichend von § 48 Absatz 2 des Gesetzes betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung können Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden.“
Nach § 7 Abs. 2 gilt dies für alle Gesellschafterversammlungen und -beschlüsse, die im Jahr 2020 stattfinden.
Unter § 48 Abs. 2 GmbHG in seiner bislang geltenden Fassung genügt das Vorhandensein der erforderlichen Beschlussmehrheit alleine nicht, um diesen Beschluss auch außerhalb einer physischen Gesellschafterversammlung fassen zu können. Vielmehr ist hierzu stets die Zustimmung aller Gesellschafter zu der Art der Beschlussfassung erforderlich, also auch die Zustimmung derjenigen Gesellschafter, die in der Sache gegen den Beschluss stimmen.
Die Bedeutung der modifizierten Vorschrift liegt nicht darin, dass eine Beschlussfassung außerhalb einer physischen Versammlung erst ermöglicht würde. Ein solches Vorgehen war nach § 48 Abs. 2 GmbHG bereits zulässig. Die Modifizierung führt jedoch dazu, dass einzelne Gesellschafter ein solches Vorgehen nun nicht mehr blockieren können. Die Bedeutung liegt also darin, dass einzelnen Gesellschaftern die Möglichkeit genommen wird, die Durchführung einer physischen Versammlung zu erzwingen, die wegen der Schutzmaßnahmen zur Vermeidung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie nicht durchgeführt werden kann.
Aus Sicht der Gesellschaft kann sich durch die modifizierte Regelung die Möglichkeit ergeben, das „Störpotenzial“ von Minderheitsgesellschaftern zu minimieren, indem streitige Beschlüsse nunmehr auch gegen deren Willen ohne physische Versammlung, etwa im Umlaufverfahren gefasst werden können. Wird ein Minderheitsgesellschafter auf der Grundlage des modifizierten § 48 Abs. 2 GmbHG „übergangen“ und ohne seine Zustimmung oder gegen seinen Widerspruch ein Beschluss gefasst, so kommt es für die Wirksamkeit des Beschlusses aber stets darauf an, dass die Gesellschafterrechte durch die gewählte Art und Weise der Beschlussfassung hinreichend gewahrt wurden.
Die Grenze der Zulässigkeit ist dabei dort erreicht, wo die zur Meinungsbildung erforderlichen Informations- und Mitspracherechte einzelner Gesellschafter nicht mehr gewährleistet sind. Dies ist stets im Einzelfall zu beurteilen und sollte dies nicht der Fall sein, ist seitens des übergangenen Gesellschafters eine entsprechende Beschlussanfechtung zu prüfen. Seitens der Gesellschaft ist darauf zu achten, dass die Beschlussfassung derart dokumentiert wird, dass die hinreichende Beteiligung sämtlicher Gesellschafter und die Wahrung ihrer Rechte dargelegt werden kann.
Schwierigkeiten wirft das Verhältnis des modifizierten § 48 Abs. 2 GmbHG zu Satzungsregelungen über die Fassung von Gesellschafterbeschlüssen auf. Aufgrund des dispositiven Charakters von § 48 Abs. 2 GmbHG können die Gesellschafter in der Satzung die Möglichkeiten zur Beschlussfassung außerhalb von Gesellschafterversammlung sowohl ausdehnen als auch einschränken. Das schriftliche Verfahren nach § 48 Abs. 2 GmbHG kann in der Satzung auch ganz ausgeschlossen und die Abstimmung allein auf Beschlüsse in Versammlungen beschränkt werden. Die Modifizierung des § 48 Abs. 2 GmbHG hilft in solchen Fällen nicht weiter, denn aufgrund der Satzungsautonomie gehen die Vorschriften in der Satzung den Vorschriften des GmbHG stets vor.
In der Praxis problematisch wird sich die Regelung für alle Gesellschaften erweisen, deren Satzungen die Beschlussfassung außerhalb von Versammlungen vorsehen, dafür aber eigene, mit dem jetzigen § 48 Abs. 2 GmbHG übereinstimmende oder davon abweichende Voraussetzungen aufstellen. Die Änderung des § 48 Abs. 2 GmbHG dürfte dann bedeutungslos bleiben, denn sie modifiziert nicht zugleich diesem nachgebildete oder ähnliche Satzungsregelungen. Es besteht daher die Besorgnis, dass viele Gesellschaften aufgrund ihrer vorrangigen Vorschriften in der Satzung trotz der Neuregelung durch den Gesetzgeber nicht mehr in der Lage sein könnten, erforderliche Beschlüsse zu fassen.
Nicht vom Gesetzgeber adressiert wird schließlich der Umgang mit Präsenzversammlungen der Geschäftsführung oder von Beiräten, welche von der Satzung der Gesellschaft oder von Geschäftsordnungen der entsprechenden Organe (unter bestimmten Voraussetzungen) zwingend vorgeschrieben sein können. Auch hierfür gilt, dass dies die Handlungsfähigkeit von Unternehmen erheblich beschränken kann.
Wir haben für Sie umfassende Informationen und Handlungsempfehlungen zu zahlreichen rechtlichen Implikationen im Kontext der Coronavirus-Pandemie zusammengestellt: Coronavirus - Antworten zu rechtlichen Implikationen