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Dr. Friedrich Goecke

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24. Januar 2019

Freizeit gegen Geld? Wohl dem, der die Wahl hat

Neues zum Günstigkeits- und Sachgruppenvergleich nach § 4 Abs. 3 TVG

I. Einleitung

Mehr Freizeit oder lieber mehr Geld? Diese Frage wird sich jeder Beschäftigte im Laufe seines Berufslebens schon einmal gestellt haben. Die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie ermöglichen es einigen Beschäftigten seit diesem Jahr, über diese Frage selbst zu entscheiden: Beschäftigte, die Angehörige pflegen, Kinder erziehen oder in Schicht arbeiten, können zwischen einem tariflichen Zusatzgeld in Höhe von 27,5 Prozent ihres Jahresgehalts und einer zusätzlichen Freizeit von acht Tagen im Jahr wählen. Wohl dem, der diese Wahl hat – wird sich der Kläger aus der heute zu besprechenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 22. August 2018 – 5 AZR 551/17) denken. Denn laut dem auf sein Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag wurde Vorfeiertagsarbeit (Arbeit an Heiligabend und an Silvester) nicht mit Zeitausgleich, sondern mit hohen Zulagen vergütet. Ein kraft Bezugnahme individualvertraglich wirkender älterer Tarifvertrag regelte es genau umgekehrt und gewährte Zeitausgleich statt der Zulagen. Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass sich die individualvertragliche Regelung nicht im Wege des Günstigkeitsvergleichs gegenüber der Tarifregelung durchsetzt.

II. Sachverhalt

Der Kläger verlangt von seinem Arbeitgeber die Gewährung von Zeitausgleich für den 24.12. und für den 31.12. der Jahre 2012 bis 2015 sowie die Gewährung von 4,19 Minuten Erholungszeit pro Arbeitsstunde. Beides, Zeitausgleich und Erholungszeit, war in Tarifverträgen vorgesehen, die (nur) kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung im Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung fanden. Der im Arbeitsverhältnis aufgrund beidseitiger Tarifgebundenheit normativ geltende Tarifvertrag traf eine ganz andere Regelung: Arbeitszeiten am 24.12. bzw. 31.12. wurden hiernach nicht durch Zeitausgleich bzw. Erholungszeit ausgeglichen, sondern durch hohe Zuschläge auf das Arbeitsentgelt. Welche Regelung sich durchsetzt, richtet sich nach dem sog. Günstigkeitsvergleich des § 4 Abs. 3 TVG. Hiernach kann von tarifvertraglichen Normen nur dort abgewichen werden, wo die arbeitsvertragliche Regelung günstiger ist als die tarifvertragliche. Der Kläger stellt sich auf den Standpunkt, die arbeitsvertraglich wirkende Regelung zum Zeitausgleich (Zeitausgleich, aber keine Zulage) sei für sich genommen günstiger als die des Tarifvertrags (Kein Zeitausgleich, dafür eine Zulage), daher sei ihm nach dem Günstigkeitsprinzip Zeitausgleich und Erholungszeit zu gewähren.

III. Entscheidung

Der Rechtsansicht, für Zeitausgleich und Erholungszeit einerseits und für das Arbeitsentgelt (hier: Vorfeiertagszulagen) andererseits seien getrennte Günstigkeitsvergleiche anzustellen, erteilt das Bundesarbeitsgericht eine Absage. Bei der Prüfung der Günstigkeit komme weder ein punktueller Vergleich von Einzelregelungen noch ein Gesamtvergleich in Betracht. Anzustellen sei vielmehr ein Sachgruppenvergleich, bei dem die durch Auslegung zu ermittelnden Teilkomplexe der unterschiedlichen Regelungen, die in einem inneren Zusammenhang stehen, verglichen würden. Sei objektiv nicht zweifelsfrei feststellbar, dass die vom normativ geltenden Tarifvertrag abweichende Regelung für den Arbeitnehmer günstiger ist, verbleibe es bei der zwingenden Geltung des Tarifvertrags.

Genauso sei es hier: Die Dauer der Arbeitszeit und das dem Arbeitnehmer als Gegenleistung zustehende Entgelt seien zu einer Sachgruppe zusammenzufassen. Sie stünden als Teile der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten in einem engen, inneren sachlichen Zusammenhang. Die Günstigkeit einer kürzeren oder längeren Arbeitszeit eines Vollzeitarbeitsverhältnisses lasse sich ebenso wenig isoliert beurteilen, wie das Arbeitsentgelt ohne Rücksicht auf die hierfür aufzuwendende Arbeitszeit. Der Sache nach sei eine Arbeitsbefreiung nichts anderes als eine Zeitgratifikation. Die Bildung einer eigenen Sachgruppe „bezahlte Freistellung von der Arbeit“ sei daher unzulässig. Der danach im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung vorzunehmende Vergleich der Sachgruppe „Arbeitszeit und Arbeitsentgelt“ der arbeitsvertraglichen Regelungen einerseits und der tarifvertraglichen Regelungen andererseits führe hier zu dem Ergebnis, dass die arbeitsvertraglich geltenden Regelungen im Streitzeitraum nicht günstiger seien als die tarifvertraglichen. Der Kläger habe zwar länger arbeiten müssen, jedoch habe sein Entgelt stets erheblich über demjenigen gelegen, das er nach den arbeitsvertraglichen Regelungen erhalten hätte. Die arbeitsvertraglichen Regelungen seien daher im Vergleich nicht günstiger, sondern ambivalent. Folgerichtig verbleibe es bei der tarifvertraglichen Regelung.

IV. Praxishinweis

Die tarifvertragliche Praxis neigt immer mehr dazu, dem Arbeitnehmer selbst die Wahl zwischen mehr Freizeit und höherer Bezahlung zu überlassen. Sofern Tarif- und Arbeitsvertrag hierzu unterschiedliche, möglicherweise auch gegenläufige Regelungen enthalten, gilt das Günstigkeitsprinzip. Hierzu liefert die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Klarheit: In einem Sachgruppenvergleich stehen Arbeitszeit und Arbeitsentgelt in einem so engen Zusammenhang, dass sie sich im Rahmen einer Günstigkeitsbetrachtung kaum voneinander trennen lassen. Der Rechtsansicht des Arbeitnehmers, aus beiden Regelungsbereichen stünden ihm die jeweils günstigeren Inhalte zu, wurde eine klare Absage erteilt.

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