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28. März 2018

Unternehmerische Entscheidungen unter Unsicherheit

Im Gespräch* mit Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup, Compliance-Experten bei Taylor Wessing Hamburg, über den Nutzen von Erkenntnissen der modernen Verhaltensökonomie für unternehmerische Entscheidungen sowie das Verhältnis zur Compliance

*Das Gespräch führte Prof. Dr. Makowicz, Schriftleiter der comply.

comply:

Lieber Herr Dr. Koch, lieber Herr Dr. Knaup, herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, der comply. für ein Interview zur Verfügung zu stehen! Sie waren neulich an einer Studie beteiligt, in der es darum ging, die Regel der Verhaltensökonomie im Bereich der unternehmerischen Entscheidungen anzuwenden. Könnten Sie uns mehr zu den Zielsetzungen und Beweggründen für die Studie sagen?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Mitglieder der Unternehmensleitung sind trotz des ihnen zur Verfügung stehenden Ermessensspielraums und größtmöglicher Gewissensanstrengung erheblichen Haftungsrisiken ausgesetzt. Der Grund dafür liegt darin, dass unternehmerische Entscheidungen regelmäßig aus einer erheblichen Ungewissheit heraus getroffen werden müssen. Das daraus resultierende Spannungsfeld war Anlass, sich im Rahmen einer Studie mit der Frage zu befassen, welche Schlussfolgerungen sich aus den Erkenntnissen der modernen Verhaltensökonomie insbesondere für die Vermeidung von Gesellschafterstreitigkeiten und Organhaftungsprozessen ziehen lassen.

comply:

Welche Methode wurde in der Studie angewandt, hat sie funktioniert?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Wir haben die zwischen 2004 und 2014veröffentlichten Entscheidungen von Landgerichten, Oberlandesgerichten und des Bundesgerichtshofs zur zivilrechtlichen Organhaftung analysiert, um zu prüfen, warum es trotz des Haftungsprivilegs der Business Judgement Rule für unternehmerische Entscheidungen immer wieder zur Verurteilung von Geschäftsführern und Vorständen kommt.

comply:

Wenn Sie unseren Leserinnen und Lesern die wesentlichen Ergebnisse der Studie kurz skizzieren würden, welche wären das?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Es lässt sich ein klares Muster erkennen: Die Geschäftsführer sind zu optimistisch und entscheiden – nach Auffassung der Gerichte – regelmäßig nicht auf einer ausreichenden Informationsbasis. Das deckt sich mit dem durch die moderne Verhaltensökonomie identifizierten Verhaltensmuster, wonach der Mensch seine eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse überschätzt und sich nur auf die Informationen konzentriert, die leicht verfügbar sind. Die gute Nachricht ist aber, dass die Verhaltensökonomie auch Lösungen für diese menschliche Schwäche anbietet.

comply:

In der Studie unterscheiden Sie zwischen besseren und schlechteren Entscheidungen, wie ist diese Abgrenzung zu verstehen? Knüpfen Sie dabei alleine an die Legalitätsforderung oder auch die ökonomische Sinnhaftigkeit einer Entscheidung an?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Entscheidung im Graubereich der Legalität mag auf den ersten Blick ökonomisch verlockend sein. Berücksichtigt man bei der Betrachtung jedoch die rechtlichen Risiken, die am Ende des Tages immer auch eine wirtschaftliche Implikation haben, hat dies unmittelbaren Einfluss auf die ökonomische Attraktivität eines Geschäfts. Die ökonomische Sinnhaftigkeit einer Entscheidung zeigt sich allerdings naturgemäß erst später. Deshalb begründet ein Geschäft, das sich im Nachhinein als schlecht erweist, nicht automatisch eine Pflichtwidrigkeit des Geschäftsleiters. Allerdings kann auch ein Geschäft, das glücklicherweise gut ausgegangen ist, aufgrund einer falschen Risikoeinschätzung pflichtwidrig gewesen sein. Auch wenn man Russisches Roulette überlebt, war es doch ein Fehler, es zu spielen.

„Die Erkenntnisse der modernen Verhaltensökonomie können dabei helfen, unternehmerische Entscheidungen unter Unsicherheit zu verbessern.“

Aber natürlich lebt das Unternehmertum auch vom Wagnis, sodass Geschäftsleiter Risiken eingehen müssen. Allerdings ist Risiko von Ungewissheit zu unterscheiden. Die Studie beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der Frage, wie es einem Geschäftsleiter trotz der von der Verhaltensökonomie identifizierten Verhaltensmuster gelingen kann, eine ausgewogene Ermessensentscheidung zu treffen und dadurch das eigene Haftungsrisiko zu reduzieren.

comply:

Die Verhaltensökonomie enthält eine Erkenntnis darüber, dass wir Menschen nicht immer rational denken können. In welchen unternehmerischen Situationen tendieren wir dazu am meisten?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Betroffen sind alle Entscheidungen, die wir unter Unsicherheit treffen müssen. Das sind leider meistens auch diejenigen, die ein besonderes Risiko beinhalten.

comply:

Die Studie führte zur Erarbeitung eines Modells, mit dem Sie den Entscheidern dabei verhelfen möchten, korrektere Entscheidungen zu treffen. Wie kann das funktionieren?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Es geht darum, den Entscheidungsträgern zu helfen, ihre Informationsbasis zu verbessern. Sie sollen nicht etwa angehalten werden, Risiken nicht einzugehen, sie sollen vielmehr in die Lage versetzt werden, Risiken besser zu erkennen und zu bewerten – und letztlich auch die Entscheidungsfindung schriftlich zu dokumentieren. Letzteres ist für den Fall einer nachträglichen gerichtlichen Inanspruchnahme des Geschäftsleiters durch die Gesellschaft oder den Insolvenzverwalter häufig prozessentscheidend.

Das Modell unterstützt bei drei klassischen unternehmerischen Entscheidungen unter Unsicherheit:

  • vor der Eingehung einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung, z.B. eines Joint Ventures,
  • vor der Einleitung eines Gerichtsverfahrens sowie
  • vor einer Entscheidung mit einer signifikanten Tragweite für das Unternehmen.

Ausgangspunkt ist in allen drei Bereichen, dem Entscheidungsträger ein Werkzeug an die Hand zu geben, mit dessen Hilfe er das Problem der unzureichenden Entscheidungsgrundlage beheben kann. Dafür haben wir jeweils Checklisten erarbeitet.

Beim Kooperations-Check geht es schließlich darum, dass die beiden möglichen Joint Venture Partner gemeinsam eine Checkliste abarbeiten, die eine Vielzahl von zukünftigen Entscheidungen abfragt, die im Laufe der Zusammenarbeit aufkommen können und die häufig zu Beginn der Kooperation nicht geregelt werden. Die Parteien unterschätzen aber, dass es zahlreiche Weichenstellungen gibt, die der Geschäftspartner vielleicht ganz anders sieht als man selbst. Es ist aber besser, diese Themen bereits zu Anfang anzufragen als nach einigen Jahren hierüber einen Streit zu beginnen.

comply: Könnten die erwähnten Modelle auch als Werkzeug eines Compliance-Officers verwendet werden? Wie könnte er sie in der Praxis einsetzen?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Die entwickelten Modelle unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von klassischen juristischen Analysemethoden: Ausgehend von den Erkenntnissen der modernen Verhaltensökonomie betonen sie deutlich stärker den Faktor Mensch. Dies scheint auch im Bereich Compliance angezeigt zu sein. Denn wenn es darum geht, menschlichen Fehlern vorzubeugen, um Compliance-Verstöße zu vermeiden, sollte auch der Faktor Mensch im Mittelpunkt stehen. Aus Perspektive eines Compliance-Officers gilt dies gleich in mehrerer Hinsicht, sowohl wenn es darum geht, Compliance-Verstöße zu identifizieren und aufzuarbeiten, als auch auf präventiver Ebene bei der Implementierung geeigneter Compliance-Maßnahmen. Für die Effektivität und damit den Erfolg eines Compliance-Management-Systems kommt es entscheidend darauf an, die Mitarbeiter mitzunehmen und für Compliance zu sensibilisieren. Je menschlicher die Implementierung ausfällt, desto eher dürfte dies gelingen. Insofern dürften verhaltensökonomische Kniffe auch in der Toolbox eines Compliance-Officers nicht fehl am Platze sein.

comply:

Ist Ihr Modell bisher nur Theorie geblieben oder liegen inzwischen erste Erfahrungswerte von seiner Anwendung in der Praxis vor?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Gerade der Kooperations-Check und der Prozess-Check erfreuen sich großer Beliebtheit bei unseren Mandanten und haben sich bereits bewährt.

comply:

Könnten Sie sich vorstellen, dass das Modell irgendwie in einem bestehenden Compliance-Management-System funktionieren, ggf. dort integriert werden könnte?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Wie das Feedback aus der Praxis zeigt, können insbesondere der Kooperations-Check sowie der Prozess-Check sicherlich eine sinnvolle Ergänzung eines bestehenden Compliance-Management-Systems sein. Da auch im Mittelpunkt jeglicher Compliance-Bemühungen das menschliche Verhalten steht, dürften die Grundannahmen der Modelle geeignet sein, die einzelnen Elemente eines Compliance-Management-Systems noch effektiver auszugestalten. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufbau einer Compliance-konformen Unternehmenskultur.

comply:

Nun haben wir eine Frage zu dem erarbeiteten Kooperations-Check. Könnte dieser Ihrer Meinung nach den Prozess der Geschäftspartner-Prüfung gänzlich ersetzen oder eher nur als Ergänzung herangezogen werden?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Der Kooperations-Check gibt Auskunft darüber, ob die Parteien wichtige Themen, wie zum Beispiel den Exit und die Ausschüttungspolitik sehen. Das ersetzt natürlich nicht die Klärung operativer Fragen und eine Prüfung des finanziellen Hintergrundes. Insofern sehen wir den Kooperations-Check als zusätzliches Werkzeug.

comply:

In dem Prozess-Check ist viel von Risikosteuerung die Rede, wie funktioniert der Check im Einzelnen und: Könnte damit auch das Compliance-Risiko (also das Risiko der Nichteinhaltung von Regeln) gesteuert werden?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Der Prozess-Check wird die Nichteinhaltung von Regeln nicht verhindern. Er gibt dem Entscheidungsträger aber ein besseres Verständnis für mögliche Schwachstellen, Verbesserungsmöglichkeiten und das Gesamtrisiko, das mit einer unternehmerischen Entscheidung verbunden ist. Das Modell unterteilt die anspruchsbegründenden Tatsachen in ihre einzelnen Voraussetzungen, deren Erfolgsaussichten dann vom Anwalt mit einer entsprechenden Begründung mit einem Prozentsatz bewertet werden. Im Modell lässt sich dann aus den Prozentzahlen ein Eurobetrag ablesen, der den theoretischen Erwartungswert widerspiegelt. Ein Vorteil dieser Betrachtung ist beispielsweise, dass sie deutlich macht, dass die Chancen insgesamt nicht bei 50% liegen, wenn die vier Anspruchsvoraussetzungen jeweils mit 50 % bewertet werden – sondern eben nur bei 6%. Außerdem hilft der Eurobetrag, die Auswirkungen einzelner Aspekte visuell erfassbar zu machen. Es ist deutlich besser verständlich, dass ein Zeuge für einen gewissen Vorfall notwendig ist, wenn dies anhand von Prozentzahlen und Eurobeträgen plastisch verdeutlicht wird.

comply:

Gibt es noch weitere Regeln der Verhaltensökonomie, die Sie zwar behandelt haben, die aber keinen Niederschlag in den Ergebnissen der Studie gefunden haben, obwohl sie für ein Compliance-Management- System von Bedeutung sein könnten?

 

Dr. Frank Koch und Dr. Martin Knaup:

Unsere Modelle adressieren „ehrliche Fehler“, nicht aber kriminelles Verhalten. Warum jemand sich zu vorsätzlich rechtswidrigem Verhalten hinreißen lässt, kann anhand der Verhaltensökonomie zwar auch gut erklärt werden, die Lösungsansätze hierfür erscheinen aber noch nicht ganz praxistauglich für Unternehmer. So ist zum Beispiel nachgewiesen worden, dass Menschen deutlich weniger bei Prüfungen schummeln, wenn sie vorher die zehn Gebote aufsagen mussten. Das Verhindern von Betrug ist sicher Aufgabe eines guten Compliance-Management-Systems, das Abfragen von Bibelstellen dürfte aber auch unter rechtlichen Aspekten ein fragwürdiges Tool sein.

comply:

Lieber Herr Dr. Koch, lieber Herr Dr. Knaup, herzlichen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch!

 

Den vollständigen Artikel finden Sie hier.

Quelle: comply. 1/2018, S. 48-50; www.comply-online.de.

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